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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 6.1895

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Schulze, Otto: Die Zimmerdecke und ihre Beziehungen zum Raum [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6759#0253

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Dezember-Heft.

Illuslr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dckoratiou.

Seite sstI.


^Mie -Himmerdecke und ilzrH Beziehungen zum ^Maurn.

von Btto Schulze. Köln a. Rh.

(Schluß.)

^ir leben in der Zeit der großen Konstrukteure und Bau-
ingenieure! Da sehe ich die Kolossal-Bauten aus der
Erde wachsen, ihr Material ist Stein, Eisen, Stein
und Eisen — und Eisen und Stein. Ich sehe das Gerüst, das
Gerippe, das Skelett und das Innere — Alles ist gut, nicht schön,
weil es vernünftig und praktisch ist — und ich sehe eine Hülle,
eine Gewandung sich darumlegen, die nicht gleichen Wesens mit
dem Kern ist. Ah! da arbeitet ein Konstrukteur und ein Künstler
zusammen, jener mit Kräften
haushälterisch umgehend, wägend
und rechnend, jener Kräfte ver-
schwenderisch verschleudernd. Innen
fünffache baupolizeiliche Sicherheit
in beruhigendster Weise; außen
eine Steigerung um das vierfache
dieser Leistung und dabei Angst
und Schrecken, des weiteren ge-
schraubt durch unsinnige symbolische
Kräfteäußerung. Ich verkenne nun
keineswegs, daß die sogenannte
Fassade die Gesammtrepräsentation
des Inneren sein soll, gewiß, aber
muß jeder schöne Mensch — auch
geistig harmonisch gebildet — ein
fleischiger Athlet sein? Das ver-
trägt sich überhaupt nicht zusam-
men, am allerwenigsten dann, wenn
zu der robusten Kraft eine brutale
Schmuckhäufung kommt. Und so
bin ich der Meinung, daß, wenn
sich ein Bauingenieur mit einem
Baukünstler(Architekten) zusammen-
gibt, um zu bauen, dieser schmücken
und jener bauen soll, und das fordere ich vor allen Dingen für
unsere Räume! — Im Raum soll der Künstler walten, der
Architekt, Maler, Bildhauer, Schreiner und Dekorateur, nicht aber
der Konstrukteur, dieser hat seine Schuldigkeit gethan; nur was
dieser geschaffen hat, geht den Künstler an, nicht wie er es gethan
hat. Und somit reflektiren wir nicht lange, ob der Raum hält
oder fällt; für uns, für den schmückenden Künstler, muß der Fuß-
boden ein Fundament, die Wand eine seitliche Schließung und
Stütze, im Fußboden ruhend, die Decke ein oberer Abschluß und
zugleich etwas Getragenes sein, der Bauingenieur konnte gar nicht
anders gestalten. So soll auch die Dekoration, das Geräth und
der Schmuck nicht stillwaltende Kräfte wecken oder gar neue hinein-
tragen — jede Kunst gipfelt in der Konflikt-Lösung — sondern
das Hinzukommende soll in den Dienst des Vorhandenen treten.
Es mag naiv klingen: die Raumgestaltung und -schmückung ist
um so wohlgefälliger und harmonischer, je mehr, analog der
aufrechten Stellung des Menschen, das Mben und Unten in Bezug

Abbildung Nr. 255. Zeitungsständer mit Lederschnitt-Arbeit.

auf Masse, Schwere, Farbe und Licht eine entsprechende Steigerung
resp. Abnahme erfährt und die Vertikale gegenüber der Horizon-
talen dominirt! Hiernach regelt sich erst die Bildung der Formen,
die Stärke des Reliefs, die Bewegung der Linien, die Vertheilung
des Zierwerks uud die Abstimmung der Farben; aus der Silhouette
des Raumes ergeben sich die Einzelheiten!

Entspricht nicht das Leichte, Bewegliche, Lichte, Farbige und
Freudige des Rokoko-Interieurs dieser Auffassung? und dankt

schließlich nicht auch das englische
Heim, die englische Innen-Dekora-
tion, trotz härterer Gegensätze durch
gerade Linien, weniger und stumpfere
Farben und größere Massen in der
sich hieraus ergebenden Einfachheit,
Wohligkeit und Wohnlichkeit, seine
großen Vorzüge ähnlichen Grund-
sätzen?! Da ist das glänzendste
Zeugniß baukünstlerischer Thätig-
keit: Das Reichstagsgebäude, das
mich in meinen Folgerungen be-
stärkt, und ich trete auch seinem
genialen, von mir stets bewunderten
Schöpfer, Geh. Baurath Prof. Vr.
Wallot, nicht zu nahe, wenn ich
meiner Ueberzeugung Ausdruck gebe,
daß er kein großer Konstrukteur,
sondern ein gewaltiger und doch
feinfühlender Baukünstler ist! Das
beweisen mir die wunderbaren
Fassadenlösungen, die Innen-Archi-
tekturen, die Dekorationen und nicht
zuletzt die ganz einzigen Ensembles
von figürlichen und ornamentalen
Einzelheiten! Auch Bruno Schmitz wie Gtto Rieth sind keine
Konstrukteure, dagegen Baukünstler, Bildhauer und für mich auch
— Maler. Und in unseren berühmten Baufirmen: Ende L Böck-
mann, Kayser L von Großheim, Kyllmann ch Heyden, Gropius
L Schmieden u. A. — in Köln: Schreiterer L Below — haben
wir glückliche Verbindungen von Bauingenieuren und Baukünstlern.
So vereinigen sich auch bei allen großen Bau-Konkurrenzen die
gleichen verschiedenen Kräfte zu gemeinsamem Schaffen.

Da ist auch das neue hervorragende Werk des Verlages
dieser Zeitschrift: „Das vornehme deutsche Haus" von dem
Architekten Hermann Werle, in welchem wir auf jedem Blatte
dieser pompösen, malerischen und poesievollen Kompositionen den
begabten Baukünstler, Dekorateur, Maler und Kunstgewerbe-
treibenden herausfühlen! Ich halte das Werk für die hervor-
ragendste Publikation dieser Ausdrucksweise unserer Zeit, aus
welcher auch der Konstrukteur herausliest: du mußt so und so
bauen, um diesem Innengewande seine im Bilde zum Ausdruck
 
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