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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 8.1897

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Kirchner, J.: Teppiche als Dekorationsmittel
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https://doi.org/10.11588/diglit.7395#0093

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Leite 62.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

März-Heft.

einmal abgenommen werden, so gehört dazu ebensoviel Muth als
Genie, um dieselbe nicht als bloßes Fragment, sondern höchstens
mit ein paar Dutzend Löchern garnirt in die Hände zu bekommen.
Hierzu gesellt sich noch, daß durch die vorgeschilderte Besestigungsart

Abbildung Nr. ssq. Fenster-Dekoration, von Rob. Grsans.

der oft sehr theuere Stoff auch noch in anderer Weise möglichst
rasch dem Verderben zugeführt wird. Die festgelegten Falten
gestatten dem eindringenden Sonnen- und Tageslichte nur eine
stellenweise Einwirkung; nun gibt es aber fast keine Farben, die
auf die Dauer als Stofffärbemittel dem bleichenden Ginfluß des
Lichtes Widerstand zu leisten vermöchten, und solch ein Teppich
sieht dann nicht selten buntscheckig genug aus, daß nach kurzer Frist
oft von seiner Wiederverwendung kaum mehr die Rede sein kann.

Warum man all dem gegenüber nicht zu der einfachen aber
überaus praktischen Befestigungsmanier des Südens, die auch das
Mittelalter praktizirte, greift, ist mir ein Räthsel. Sie ist weder
kostspieliger, noch umständlicher als die bisher geübte. Einige
Metall- oder Beinringe an das Objekt der Textilkunst befestigt,
eine einfache Eisenstange an einem hübsch geschmiedeten, mit ein
paar Schrauben leicht zu befestigenden praktikabelen Träger und
das ganze Hexenmeisterstück ist vollendet; der aufgehangene, unter
Umständen auch nur leicht über die Stange geworfene Teppich
kann nun als portisre dienen, im nächsten Augenblick aber durch

eine kleine Drehung des Trägers einen reizenden plauderwinkel
improvisiren. Ein primitives Gestell, etwa aus Bambusstäben,
denen ich sonst ob ihrer Nüchternheit nicht gerne das Wort rede,
ein Teppich, Brokat oder sonstiger dekorativ wirkungsvoller Stoff
darüber geworfen, gereicht dem ganzen Interieur mehr zum Vor-
theil, als jene steifen, nüchternen Paravents, oder jene meist
schrecklichen Ungethüme von Ofenschirmen u. dgl., die mit ihren
meist nicht übermäßig gelungenen Stickereien allzu lebhaft an das
Pensionat und die Alosterschule erinnern.

Auch mit den als Fußbodenbelag verwendeten Teppichen
hat es ähnliche Bewandnisse. Wo fällt es im Orient, ja nur
in Italien, Jemandem bei, seine Teppiche auf dem Fußboden
festzunageln und schwere Möbelstücke wochenlange darauf stehen
zu lassen, wie wir es thun. Dem Orientalen kommt es nicht in
den Sinn, seinen schönen Perser- oder Smyrnateppich über das
ganze Zimmer zu breiten und gestiefelt und gespornt demselben
alle Unbill der Fußtritte angedeihen zu lassen, dazu genügt ihm
die simple, billige Rohrmatte und selbst die Frau streift noch vor
dem Betreten des Teppichs ihre zierlichen Pantöffelchen ab und
trippelt mit nackten Füßchen über das farbensatte Erzeugniß des
Wirkstuhles, allerdings trägt sie hierbei keine westeuropäische
Soiröetoilette mit ellenlanger Schleppe und findet nicht mit hoch-
beabsätzten Schuhen jeden Strohhalm als ein im Wege liegendes
Hinderniß, das kurzweg zu nehmen ihr ein halb Dutzend wie ein
Aüraß um die Beine gelegter Steifröcke und die Unnachgiebigkeit
der Einschnürung des Oberkörpers verhindern.

Uurz und gut, wir verfahren höchst unrationell bei der Ver-
wendung unserer Teppiche und Draperiestoffe und müssen uns
hierin von dem ärmsten Beduinen, noch mehr aber von unseren
mittelalterlichen Vorfahren beschämen lassen. Was wußte man
in der Zeit des holden Minnedienstes mit derartigen Behelfen
aus einem Frauengemache, der Empfangshalle usw. herauszu-
gestalten?! Wie praktisch und doch dabei mit welch feinem
dekorativem Verständniß wußte die damalige Hausfrau diese
Objekte zu verwenden, und wie eifrig war sie bemüht, ihren
Vorrath hiervon noch durch eigenhändiges Hinzuthun zu ergänzen,
zu vergrößern. Sie kannte ja die Vortrefflichkeit derselben gegen
Aälte und Zugluft, wenn ihr auch noch kein Professor in lang-
athmigem Vortrag die Ursache hiervon auseinandergesetzt hatte
und sie am nächsten Tage nicht die Annoncen einer Zeitung
durchblättern konnte, um sich zu orientiren, wo die besten und
billigsten Sorten dieser „schlechten Wärmeleiter" zu haben seien.

Wüßten unsere Hausfrauen welch ein vorzügliches vorbeugen-
des Mittel solch ein dichter 'Marokkaner als Thür- und Fenster-
Draperie, so ein echt wollener Bettvorleger rc. gegen den ungebe-
tenen Gast, den Rheumatismus, ist, der in unseren zugigen Mieth-
kasernen durch tausend Ritzen und Spalten seinen Weg findet, sie
würden all dem Tüll- und Mollplunder den Abschied geben.
Allerdings müßte dann auch mit der Quasten-, Troddel- und
Aufraffspielerei gebrochen werden, ohne die unsere Dekorateure
nicht auskommen zu können meinen.

Man versuche es doch einmal, diese Wandteppiche, Fußboden-
bedeckungen, Draperien usw. derart zu konstruiren, daß sie leicht
anzubringen, abzunehmen und zu handhaben sind für den momen-
tanen Gebrauch; man breche mit dem bisherigen Schlendrian und
mit Erstaunen dürfte wahrgenommen werden, wie prächtig alle
derartigen Dinge in täglich geändertem natürlichem Faltenwürfe,
wechselnder Beleuchtung, plazirung u. s. f. immer wieder mit
neuem Reize wirken.

Es gibt nichts Zweites unter all dem, womit wir unser
Heim zu verschönern vermögen, das an dekorativer Rraft nur
im Entferntesten dem Teppich gleichkäme, wir haben es nur ver-
lernt, ihn als Wandschmuck, als Thür- oder Fenster-Vorhang rc.
zu benützen. Wir breiten ohne ästhetische Skrupel einen Teppich
auf den Estrich aus, dessen Fond, eine Menageriebestie, dem
 
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