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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 8.1897

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Kirchner, J.: Teppiche als Dekorationsmittel
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https://doi.org/10.11588/diglit.7395#0094

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März-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration

Seite 63.

Besucher entgegenspringt, wir treten auf Blumen- und Ranken-
werk herum und einem Vogel oder Schmetterling aus die aus-
gebreiteten Flügel, wir patschen scheinbar ins Wasser oder unter-
nehmen auf ebenem Boden Gebirgsparthien mit Lackschuhen, im
Frack, den Tlaquehut unterm Arm und taubengraue Glacss an
den Händen. Ist das nicht komisch? und doch können wir es
alle Tage erleben und nicht nur im Hause des verständnißlosen !
Parvenüs, sondern auch dort, wo man mehr künstlerisches
Empfinden vorausgesetzt hätte. Stößt man im Grient auf solche
Mißgriffe? Nein. Der einfachste Kabyle weiß einen feinen
Unterschied zu machen zwischen Wand- und Fußteppich, zwischen
dem, der sich zum faltigen Thürbehang eignet und jenem, der
ausgespannt einen Raum abzugrenzen bestimmt ist, hierin können
nicht nur wir, sondern auch der größte Theil unserer Dekorateure
von dem simpelsten Sohn der Wüste lernen, dem es nie beisällt,
ein Muster, das für die Wirkung in der Vertikale berechnet ist,
in die Horizontale zu zwingen.

Und erst die Farbenwahl! Da kann der nächstbeste Schuster
in Kairo oder Damaskus unser Lehrmeister werden. Es gibt
keine größere Albernheit, als das leere Gerede vom Nichtzusammen-
passen satter Farben, das Vorschieben unseres zwei Drittel des >
Jahres nebeligen Himmels. Man sehe sich doch einmal unsere
prächtigen, alten Volkstrachten an, wie malerisch wirken die nicht
selten buntesten und grellsten Zusammen- und Nebeneinander-
stellungen selbst im eintönigsten Grau eines Regentages und ein
gut Theil der Wirkung unserer Soldatenuniformen auf die Frauen-
und Mädchenherzen ist ihrer Buntheit zuzuschreiben; wir soge-
nannten Gebildeten haben eben die Eindrücke der Farbenfreudigkeit
verlernt in uns aufzunehmen, sie glüht bei uns wie die Leiden-
schaften unter der Asche und macht sich höchstens in jüngeren
Zähren im Karneval Luft, indeß das naive Landvolk sich seine
Empfänglichkeit, den natürlichen Impuls gewahrt hat. Man
experimentire einmal mit farbensatten Stoffen diesbezüglich in
seinen vier pfählen, und man wird überrascht sein von den
prächtigen Wirkungen, die sich da erzielen lassen. Und wie reich
läßt sich da mit wenig Mühe und Kosten ein Heim ausstatten?!
Die reichst in Eichenholz geschnitzte Bildstaffelei wirkt z.B. nüchtern;
man drapire über deren eine Seite ein Stück blauen oder rothen
Sammtes, Plüsch oder Seide und sehe sich dann das Ding einmal
an. Ein Stück hübsch gemusterter Moirse, wie zufällig über den
Ofenschirm geworfen, daß er in natürlichen Faltenbrüchen daran
herunter fällt, macht mehr Effekt als der wollgestickte Lohengrin
oder die seidenfädige Lorelei mit ihrer Lyra aus Glasperlen; der
kleinste echte Perserteppich vor dem Lehnstuhl wiegt zehn Quadrat-
meter Surrogat auf.

Es ist schade, daß unsere heutigen Mädchen lieber Rad
fahren, ihre Mitmenschen mit schlechtem Klavierspiel maltraitiren
u. dgl., statt Hebungen zu machen, wie man eine Wohnung
behaglich einrichtet. Den Mühen einer Arachne, Penelope rc.
am Webstuhl überhebt sie ja ohnehin die moderne Industrie;
aber nach der Trauung eine Hochzeitsreise anzutreten und dann
die vom Dekorateur eingerichtete Wohnung, in der meist Alles,
nur nicht ein gemüthliches Fleckchen zu finden ist, zu beziehen, das
finde ich doch ein Bischen gar zu — bequem.

Unsere Mittelschulen, insbesondere die Real- und höheren
Töchterschulen und die Pensionats kranken fast alle an dem Nebel, ^
daß sie der Ausbildung fürs praktische Leben mit ihren Lehr- ^
plänen meist immer noch sehr ferne stehen und insbesondere die
ästhetische Erziehung aus dem Gebiete der bildenden Künste und
was mit denselben zusammenhängt, fast gänzlich vernachlässigen,
und doch wäre es so manchem jungen Ehepaare später von
Nutzen, wenn man ihm wenigstens die Grundzüge der künstlerischen
Harmonielehre beigebracht hätte. — Nicht viel Besseres läßt sich
von unseren Fach- und Handwerkerschulen sagen, auch dort fehlt
das lebendige Beispiel, der Anschauungsunterricht, theoretische

Erörterungen ohne erheblichen praktischen Nutzen müssen genügen
und doch würden gute polychrome Abbildungen, praktische Thä-
tigkeit zehn- ja hundertfach mehr nützen.

Gerade auf diesem Boden, wo Kunst und Kunstgewerbe so
nahe aneinander herantreten, ist eine gediegene Anleitung doppelt
nothwendig, denn der Dekorateur, der mit künstlerischem Ver-
ftändniß die Teppiche, Stoffe rc. wählen und arrangiren soll,
braucht hierzu das Auge eines Malers, die Hand eines Bild-
hauers und den Scharfblick des Architekten, daß jedoch mindestens
eine dieser drei Voraussetzungen häufig genug fehlt, davon können
wir uns nur zu oft selbst dort überzeugen, wo alle Mittel geboten
waren um Mustergültiges damit schaffen zu können. — Wie
schön wäre es in solchen Fällen, wenn die Hausfrau oder der
Hausherr selbst thätig eingreifen und eigene Wünsche und Vor-
schläge zur Geltung bringen könnten! —

Der Teppich und die Draperie sind zweifellos berufen, in
Zukunft noch eine große Rolle bei der Ausstattung unserer Wohn-
räume zu spielen, wenn auch zur Zeit die Thorheit der Mode
wieder für kurze Zeit sie etwas in den Hintergrund gedrängt hat.
Die Zweckmäßigkeit, die Vielseitigkeit ihrer Verwendung und die

Abbildung Nr. 565. Fensler-Dekoration. von Lhr. Hövel, Düsseldorf.

durch keinen anderen Ersatz erreichbare Schönheit der mit ihnen
zu erzielenden Arrangements werden denselben allenthalben Bahn
brechen; denn sie sind nicht ein bloßer Mode-, sondern ein
eminenter Nutzartikel, dessen allgemeinere Verwendung wohl nur
die Frage einer absehbaren Zukunft ist. —
 
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