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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 1
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K., ...: Breslauer "Wuwa"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0061

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Wind, Regen und Kälte ausgesetzt ist, denn die gegen-
seitigen Überdachungen bieten nur einen recht problemati-
schen Schutz. An diesen „Laubengängen" liegen die Eingänge
zu den sechs Wohnungen, die zwischen 48 und 60 Quadrat-
meter nutzbare Wohnfläche haben. Jede der sechs Wohnungen
eines Stockwerkes ist anders eingeteilt, im allgemeinen nicht
unglücklich, da es, von einigen Ausnahmen abgesehen, meist
gelungen ist, die Räume gut voneinander zu trennen und
ausreichend zu belichten.

Radings Wohnungen haben jede 60 Quadratmeter Grund-
fläche, sie liegen in Gruppen zu vier, je zwei nebeneinander
an den Enden eines langen Korridors, der die durchgehende
Hauptachse seines Baues bildet und in der Mitte, wo eine
hell beleuchtete Treppe die Geschosse verbindet, auch von
außen gesehen nur als Verbindungsstück zwischen den beiden
Wohnblöcken erscheint. Bei Rading kommt der soziale
Gedanke am stärksten zum Ausdruck: in jedem Wohnblock
münden die Korridore in zwei Gemeinschaftsräume, die
tagsüber den Kindern, abends den Erwachsenen zum Aufent-
halt dienen sollen. Waren in den Wohnungen von Heim
und Kempter die Grundfunktionen: Schlafen, Kochen,
Wohnen möglichst gesondert, so fließen sie bei Rading viel
stärker ineinander. Sein Haus ist ein Stahlskelettbau, der
die unbehinderte Aufstellung von freitragenden Zwischen-
wänden ermöglicht. Rading hat davon weitgehenden Ge-
brauch gemacht, indem er hier eine Schlafnische, dort eine
Kochecke aus dem Gesamtraum ausgesondert hat, aber da
finden sich Schlafräume ohne jede direkte Belichtung und
Belüftung, also wahre Alkoven. Zuweilen kann ein Schlaf-
raum nur durch die Küche betreten werden, in andern
Fällen ist die Küche gar Durchgang zum Abort. Selbst wenn
man die Ansprüche an Bequemlichkeit, das Bedürfnis nach
Absonderung und Unterdrückung von lästigen Geräuschen,
Gerüchen und ähnlichen unvermeidlichen Nebenerscheinungen
auf ein Mindestmaß herabsetzt, muß die Radingsche Lösung
als reichlich gewagt bezeichnet werden. Der Grundriß ist
'n der Tat ein Reißbrettschema und in Wahrheit ein Wider-
spruch in sich selbst. Um Raum zu sparen, sind die Treppen
beschränkt, dafür wurde aber ein ungebührlich breiter Korri-
dor eingeschoben, in den sich das Geräusch aus acht Woh-
nungen ergießt. Wir betonen hier die Zweckforderungen,
%g'ene und Lebensmöglichkeit, denn das sind ja die Pro-
bleme, deren Lösung Rading anstrebte Ein einigermaßen
begabter Wohnungsingenieur ohne künstlerische Ambitionen
hätte das besser gekonnt. Zur Bewältigung architektonischer
und raumkünstlerischer Dinge ist nicht einmal ein Ansatz
gemacht. Bei Heim und Kempter kann man wenigstens eine
großzügige Massenwirkung feststellen und das Äußere bietet
mit den drei gewaltigen Horizontalen der Laubengänge einen
nach Stockwerken klar gegliederten Aufbau, dem gegenüber
freilich die seitlichen Eckpfeiler etwas reichlich schwächlich
geraten sind. Rading aber hat die großen Würfel seiner
Wohnblöcke durch die Anordnung von Dachgärten mit aus-
buchtenden Wänden und ganz unmotivierten Vorkragungen
um alle Wirkung gebracht, zumal auch die seitlichen Fenster-
lösungen mit ihrem spielerischen Wechsel von runden und
eckigen Formen die so hervorgerufene Unruhe nur noch
steigern. Es ist ein wahres Ungetüm von Bau, das da vor
uns steht. Auch die Gliederung der Innenräume, insbesondere

die Verbindung des Srahlgerüstes mit den Wänden und
Decken zeugt von einer Unempfindlichkeit gegen die Form,
die peinlich anmutet.

Nicht weniger problematisch, aber um vieles interessanter,
gerade nach der künstlerischen Seite hin, ist Scharouns
„Wohnheim". Zwei Flügel umfassen in Schräglage einen
niedrigeren Baukörper, der die Mitte zwischen ihnen ein-
nimmt. Der eine Flügel erhebt sich in glatter, ruhiger
Masse, gekrönt von Dachgärten auf langgestrecktem, recht-
eckigem Grundriß, er enthält Einzelwohnungen für Ledige.
Die Mitte schwingt in kräftiger Kurve mit einem weitvor-
ladenden Terrassenausbau zu dem zweiten Flügel hinüber,
der sich in entgegengesetzter Richtung biegt. In dem Auf-
bau dieser klar gesonderten Teile, in dem Wechsel ge-
schlossener und geöffneter Flächen und nicht zuletzt in ihrer
Krümmung und scheinbaren Bewegung lebt ein starkes,
ornamentales Empfinden. Es erscheint hier als Gegenpol
zu der gewollten Sachlichkeit und Zweckmäßigkeit des Bau-
programms. Man verzichtete auf jeden Dekor, dafür wurde
der gesamte Baukörper selbst in eine ornamentale Be-
wegung versetzt, die nicht nur mit Massen, Flächen und
Linien arbeitete, sondern auch die Beleuchtung als Wirkungs-
faktor benutzte, denn glatt belichteten Flächen ohne Schatten
werfende Gesimse stehen andere gegenüber, in denen weir-
vorkragende Balkone oder Terrassen starke und mit den
Tageszeiten wechselnde Dunkelheiten erzeugen. Ob man
allerdings in diesem Hause wohnen kann, ist eine andere
Frage. Der weit ausgedehnte, niedrige Mittelbau enthält
gemeinsame Speiseräume, deren sicherlich nicht geringe Bau-
kosten naturgemäß der Miete zugeschlagen werden müssen.
Die Anordnung der Räume in den einzelnen Wohnungen ist
von der merkwürdigsten Art. An einem langen Korridor,
der eng und schmal in seiner bewußt zur Schau getragenen
Konstruktion ganz den Geist eines technischen Zeitalters ver-
kündet, liegen die Eingänge zu sechzehn nebeneinander auf-
gereihten Wohnungen. Während Rading und das „Lauben-
ganghaus" möglichst ohne Treppen auskommen wollten, sind
hier in jede Wohnung je zwei Treppen gelegt, die beide vom
Wohnraum ausgehen, indem sie zum Eingang nach oben und
zum Schlafraum nach unten führen. Zwischen den Treppen-
läufen liegen ohne eigene Luftzufuhr Bad und Abort. Im
andern Flügel, dessen Wohnungen für kinderlose Ehepaare
gedacht sind, ist die Anordnung bei etwas größeren Maß-
stäben im wesentlichen die gleiche. Witzige Leute sprechen
in Breslau von dem Scharounschen „Ozeandampfer", der Ver-
gleich ist gar nicht schlecht und die Ähnlichkeit im einzelnen,
wie zum Beispiel in den Korridoren, geradezu verblüffend.
Bei den einen ist es Tadel, bei den andern Lob, jene denken
an bequeme Paläste, diese an gewisse Abbildungen in Cor-
busiers Büchern; doch das sind keine Maßstäbe und erst
die Zukunft dürfte entscheiden, ob man es auf die Dauer
in einem solchen „Dampfer" aushält.

Und das Ganze? Als Problemstellung von großer Be-
deutung, denn daß die Einfamilienhäuser, die noch in Stutt-
gart auf der Werkbundausstellung das Feld beherrschten, die
Wohnungsfrage nicht lösen können, dürfte klar sein. Als
Versuch anregend, aber als Ergebnis leider noch unbe-
friedigend.

K.

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