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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 5
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Eberlein, Kurt Karl: Das "Problem" Dossena
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0240

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EDWIN SCHARFF, BÜSTE FRAU HUGO SIMON. GEBR. TON

AUSGESTELLT BEI PAUL CASSIRER, BERLIN

DAS „PROBLEM"DOSSENA

TTTenn eine Zeit wie das neunzehnte Jahrhundert nach-
* ' einander verschiedene Kunststile wiederholt, so ist das
schon ein bedenkliches Merkmal, wenn aber ein Einzelner
heute nebeneinander verschiedene Stile spiegelt, so ist er
weder ein Künstler noch ein Revenant, sondern ein Virtu-
ose, ein Varietist, ein Kunststimmenimitator. Es gibt also
kein „Problem" Dossena, wenn auch die amerikanischen
Museen getäuscht werden konnten, wenn auch im Katalog
der Berliner Ausstellung Dr. Cürlis die schönsten Erklärungen
und Entschuldigungen für diese „schaffenden Hände" findet.
Hier gibt es weder Kunst noch künstlerischen Standpunkt.
So man es nicht weiß, lese man in Eudels klassischem
Buch „Le truquage" nach, wie alt dies Können ist, das der
geistigen Kopie nicht nur den alten Stil, sondern auch die
Patina, den Bruch, den Farbrest, die Inschrift, den echten
alten Zustand auf Vorder- und Rückseite verschafft, und
dem Kunsthandel mit und ohne Auftrag eine Ware liefert,
die den Fachmann verwirrt und den Sammler täuscht. Der
Fehler liegt freilich nicht nur beim Händler, sondern auch
bei dem, der „Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt",
noch im Museum dem Starsystem huldigt, nicht den Kunst-

wert, sondern den Namen und seinen Handelswert kauft
und im Vertrauen auf Expertise, Herkunft und „Tulpen-
preis" seltene Stücke findet, die auf ihn gewartet
haben sollen. Die Reihe der berühmten meisterlichen
Täuschungen — ich erinnere nur an den Amor Michel-
angelos, an die Benivienibüste Bastianinis, die Tiara
des Saitaphernes, an den Fund von Glozel und andere
— ließe sich von der Antike bis heute reizvoll zu-
sammenstellen. Der in Rom lebende Cremoneser, der
statt alter Geigen nun alte Marmor-, Holz- und Terra-
kotta-Plastiken der Antike, der Gotik, der Renaissance
macht, ist also kein Problem. Das Problem, das uns
angeht, liegt anderswo und liegt tiefer. Es gibt nur
zwei Berufe, die das Revenant-Talent, das Fühlen,
Wissen, Können der Vergangenheit brauchen, besitzen
dürfen und sollen: der Restaurator und der Kopist. Der
Restaurator, damit er die Kunstwerke der Vorzeit ret-
ten, schützen, erfrischen, erhalten, das heißt restau-
rieren kann — beileibe nicht, um sie mit täuschender
Meisterschaft zu ergänzen wie der berühmte Andre
oder wie unser Hauser; der Kopist, damit er mit allem
Wissen und Können nach sterbenden, geraubten, ver-
kauften, versteckten und abseitigen Kunstwerken das
schaffe, was kein Künstler, kein Gelehtter, kein Photo-
graph schaffen kann, die wissenschaftliche Kopie. Ich
kann die Aufgaben und Probleme der wissenschaft-
lichen Kopie hier leider nicht erörtern, es sei nur ge-
sagt, daß uns in Deutschland gerade das fehlt, was
Rußland für seine nationale Kunst und Kunstwissen-
schaft geschaffen hat: die staatliche Kopistenschule,
die in enger Verbindung mit der Restauratorenschule,
mit Denkmalpflege und Universität das technische Kön-
nen und Wissen den Kopisten und Restauratoren, den
Gelehrten und Museumsbeamten vermittelt und auf
Grund dieses Könnens die wissenschaftliche Kopie
schafft, die für die Lehrsammlung, für das Kopien- und
Schulmuseum, für Wanderausstellung und Transport die
wissenschaftlich und national wichtigen Kunstwerke in
Originalkopien darstellt. Die Idee Bunsens für Berlin, der
Gedanke des Freiherrn v. Aufseß für Nürnberg, das Mu-
seum Ramboux in Düsseldorf, der Plan des geistvollen
Louis Blanc für Paris waren oder wären für die Wissen-
schaft von höchstem Wert. Deshalb sind auch die ersten
Versuche einer wissenschaftlichen Kopie in der Ham-
burger Kunsthalle höchst beachtenswert. Wenn das Ta-
lent Dossenas fruchtbar und sinnvoll werden soll, gibt es
nur einen Weg: ihn als staatlichen Kopisten anzustellen, als
Lehrer, Techniker, Meister für wissenschaftliche Kopie. Hier
wäre seine unselige Nachahmungsgabe, sein Können und
seine Schnelligkeit am Platz, hier würde seine Not zur
Tugend, zum Segen der Sammler und Museen, und diese
Art „schaffender" Hände wäre es wert, beachtet zu werden.
Wenn die Ausstellung Dossena im Verein Berliner Künstler
den Museen und ihren Behörden den Wunsch nach der
dringend notwendigen Kopisten- und Restauratorenschule,
nach der wissenschaftlichen Kopie und nach der Kopien-
sammlung schärfen würde, dann hätte sie auch das Verdienst,
nicht nur zur Diskussion gerufen, sondern diese Diskussion
erfolgreich beendet zu haben. Eberlein.

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