Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0351
DOI Heft:
Heft 8
DOI Artikel:Luthmer, E.: Das Neue Frankfurt
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DAS NEUE FRANKFURT
VON
E. LUTHMER
TT^s gibt schön geschwungene Schalen aus russi-
' sehen Hölzern, in denen man, vom Kern aus-
gehend, die Jahresringe des Stammes ablesen kann.
So wie das Bild einer solchen Schale, leise an-
steigend bis zum Rande der Taunusausläufer, vom
Kern in immer weiteren Ringen nach Norden aus-
schwingend, baut sich am Mainufer das alte und
neue Frankfurt auf. Und wie das Schicksal des
Baumes, so kann man aus den aufeinanderfolgen-
den Ringen der Entwicklung die Schicksale dieser
Stadt ablesen.
Im Kern das alte Frankfurt mit Sachsenhausen,
umschlossen von dem ehemaligen Festungsgürtel,
der, heute in Grünanlagen und Gärten verwandelt,
noch deutlich sichtbar ist. Gedrängt erfüllt von
geschichtlicher Erinnerung, ruht darin das Frank-
furt des Mittelalters und der Renaissance, das ba-
rocke Frankfurt der Bundeszeit, das Frankfurt
Goethes.
Enganschließend um den gesprengten Gürtel
erstanden dann die bürgerlichen Wohnbauten aus
dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts.
Die große Expansion der Stadt, die dann ein-
setzt, trägt das Gesicht der wirtschaftlichen Ent-
wicklung zwischen 1870 und 1914. Es ist kein
schönes Gesicht und seine Züge erzählen von so-
zialer Trennung, Großmannssucht und falscher
Prachtliebe. Es entstehen die Industrieviertel des
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VON
E. LUTHMER
TT^s gibt schön geschwungene Schalen aus russi-
' sehen Hölzern, in denen man, vom Kern aus-
gehend, die Jahresringe des Stammes ablesen kann.
So wie das Bild einer solchen Schale, leise an-
steigend bis zum Rande der Taunusausläufer, vom
Kern in immer weiteren Ringen nach Norden aus-
schwingend, baut sich am Mainufer das alte und
neue Frankfurt auf. Und wie das Schicksal des
Baumes, so kann man aus den aufeinanderfolgen-
den Ringen der Entwicklung die Schicksale dieser
Stadt ablesen.
Im Kern das alte Frankfurt mit Sachsenhausen,
umschlossen von dem ehemaligen Festungsgürtel,
der, heute in Grünanlagen und Gärten verwandelt,
noch deutlich sichtbar ist. Gedrängt erfüllt von
geschichtlicher Erinnerung, ruht darin das Frank-
furt des Mittelalters und der Renaissance, das ba-
rocke Frankfurt der Bundeszeit, das Frankfurt
Goethes.
Enganschließend um den gesprengten Gürtel
erstanden dann die bürgerlichen Wohnbauten aus
dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts.
Die große Expansion der Stadt, die dann ein-
setzt, trägt das Gesicht der wirtschaftlichen Ent-
wicklung zwischen 1870 und 1914. Es ist kein
schönes Gesicht und seine Züge erzählen von so-
zialer Trennung, Großmannssucht und falscher
Prachtliebe. Es entstehen die Industrieviertel des
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