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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 9
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Wiener Frühlingsausstellungen
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Viktor Tischler
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0414

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G.ROUAULT, FRAUENKOPF

AUSGESTELLT IN DER BRUMMER GALLERY, INC.
NEW YORK. MIT ERLAUBNIS DER D. D.A.

— wenn alle anderen Lebensbeziehungen ihre Kraft ver-
loren haben werden — bleibt oder nicht bleibt, ein per-
spektivischer Effekt, eine Fata morgana, die die Wüste zeit-
licher Entfernung zur Voraussetzung hat.

Ein solches spirituelles Exerzitium, wie die ernstliche
Bemühung um ein solches Problem sie darstellt, konnte
nicht ohne Wirkung auf die Betrachtung der anderen Aus-
stellungen dieses Frühlings bleiben; sie haben einen Hinter-
grund erhalten, vor dem ihr Ästhetizismus zu seltsam
spielerischer Beflissenheit zusammenschrumpft. Man fühlt
sich zur Jagd auf Ewigkeitswerte, zu der die Künstlergruppen
alle paar Monate einladen, weniger gestimmt als sonst. Der
Hagenbund spannt durch Bezeichnung seiner Frühlingsschau
als Jubiläumsausstellung seinen Ehrgeiz am höchsten; da ich
in einem Vorwort zum Katalog dieser Ausstellung das Ideal-
bild dieser Künstlergruppe zu zeichnen versuchte, möchte
ich der Verlockung widerstehen, ihm in Form einer Aus-
stellungskritik das Bild der Praxis gegenüberzustellen. Aus
dem von diesen Künstlern angestrebten Bodenständigen, das
von der Verwirklichung ins Lokale verengt wird, löst sich
Viktor Tischlers große Kollektion zu gesonderter Betrachtung
heraus.

In der Secession treten drei Künstler mit dem Anspruch
bleibender Qualität auf, Wiegele, Panser und Dobrowsky.
Wiegele erscheint auch hier — mit einer Wand von Bildern —,
wie ihn die Osterreichische Galerie zeigt: als genialer An-
fänger und nicht Vollender von Werken. Von Mal zu Mal
bleibt die Begabung, die ihm wie süße Frucht überreich
aus den Händen quillt, in höherem Maße unausgewerteter
Rohstoff; keines der fünf Bilder ist bis dahin durchgeformt,
wo aus der Talentprobe erfüllte Leistung wird. Sohn einer
weniger belasteten Generation, steht Panser als entschlossener
Fertigmacher hinter diesem Meister des Fragmentarischen;
unheimlich in einer Geschicklichkeit, der alles wie von
selbst gelingt, bedenklich in der Selbstverständlichkeit, mit
der er sich von seiner natürlichen Liebenswürdigkeit bis

G.ROUAULT, FRAUENKOPF

AUSGESTELLT IN DER BRUMMER GALLERY, INC
NEW YORK. MIT ERLAUBNIS DER D. D.A.

hart an die Grenze führen läßt, die Süßes vom Süßlichen
trennt. Zwischen den beiden, dem nie Fertigen und dem
stets Fertigen, steht Dobrowsky, nach stürmischen Werde-
jahren heute vielleicht die stärkste und klarste Begabung
der Wiener Secession; seine Kunst wird in gleichem Maße
von Sinn und Gefühl genährt und erhebt sich bisweilen zu
echter Vision.

Gerhart Frankls Sonderausstellung in der „Neuen Galerie"
enthüllt in einer gedrängten Auswahl von Gemälden und
Graphiken aus einem halben Dutzend Jahren ein typisch
österreichisches Malerschicksal; keine von anderen erklügelte
und erprobte „Richtung" weist einer Begabung den Weg,
die sich in stoßweiser Anspannung und Entladung lediglich
nach dem eigenen Gesetz entwickelt. Die harte Selbstzucht
einer schwer zu bändigenden Lebenskraft verleiht diesen
Werken die unterirdische Spannung. Und wieder wagen
wir — so oft enttäuscht — zu hoffen, daß dieses schöne
Stück Zukunft nicht wieder Vergangenheit werde, ehe es
nicht volle Gegenwart war. H. T.

VIKTOR TISCHLER
T Tiktor Tischlers Kollektivausstellung im Rahmen der Ju-
" biläumsausstellung des Hagenbundes, dessen Mitglied
er seit neun Jahren ist, umfaßt zum guten Teil dieselben
Bilder, die im Winter bei Casper in Berlin ausgestellt
waren; doch bekommt die Leistung ein anderes Gewicht,
wenn man sie nicht isoliert, sondern in der Umgebung
Gleichstrebender findet. Er gehört zu jenen Künstlern, die
niemals ihrer Begabung freien Lauf lassen; er setzt Sordinen
auf seine Impulse, gestattet keinen einzigen Temperaments-
ausbruch, kontrolliert immer wieder, setzt erst ab, bis er
die feinste Spannung zuverlässig herausgebracht hat. Zu
solch displiniertem Weg gehört auch eine einsichtige Wahl
der Motive, Tischler gibt sein Bestes in dem südlichen
Stadtbild. Jede Andeutung der Tiefe beunruhigt schon den
maßvollen Klang, der Mensch, der sich hereinverirrte, würde

A. MAILLOL, TORSO EINER JUNGEN FRAU

AUSGESTELLT IM MUSEUM OF MODERN ART,
NEW YORK. MIT ERLAUBNIS DER D. D.A.

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