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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 9
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Friedländer, Max J.: Die Boerner-Versteigerungen in Leipzig
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0420

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FILIPPINO LIPPI, CHRISTUS UND HENDRIK GOLTZIUS, BRUSTBILD URS GRAF D. Ä., HALBFIGUR EINES

MAGDALENA. METALLSTIFT, WEISS EINES MALERS. FARBIGE KREIDE MANNES. FEDERZEICHNUNG

GEHÖHT. 27:2r,icm. 22000 M. 1606. 41,6:30,8 cm. 6000 M. 19:14,8cm. 15000 M.

EINE WIENER SAMMLUNG, VERSTEIGERT AM 12. MAI DURCH C. G. BOERNER UND PAUL GRAUPE IN BERLIN

DIE BOERNER-VERSTEI

Tn Leipzig haben zwischen dem 6. und 10. Mai große Ver-
Steigerungen von Kupferstichen, Holzschnitten und Zeich-
nungen alter Meister stattgefunden. Die typisch gewordene
Veranstaltung. Wieder eine sehr lange Reihe von Kupfer-
stichen und Holzschnitten aller Art, dabei Dubletten aus
öffentlichen Sammlungen, diesmal aus Rußland, wieder
starke Beteiligung amerikanischer, holländischer, französi-
scher, deutscher und englischer Händler, wieder ein mit er-
staunlicher Sachkenntnis redigierter Katalog, der für den
Käufer die Chance einer Entdeckung so ziemlich ausschließt.
Der einzige erkennbare Grund dafür, daß solche seriösen
und umfangreichen Auktionen gerade in Leipzig vor sich
gehen, liegt in der überlegenen Tüchtigkeit des Hauses C.
G. Boerner, dessen Inhaber Hans Boerner kürzlich von der
Leipziger Universität zum Dr. h. c- ernannt worden ist. Die
Berichterstatter lesen die Preislisten dieser Versteigerungen
wie einen Kurszettel und ziehen daraus Schlüsse auf Markt-
verhältnisse und Geschmackswandel. Solche Folgerungen
sind von zweifelhaftem Wert. Wie die Dinge heute liegen,
entscheidet mehr als früher der Zufall, und eine gesunde,
durch Angebot und Nachfrage bestimmte Preisbildung ist
kaum noch festzustellen. Die Zahl der Sammler auf dem
Gebiete des Kupferstiches und Holzschnittes ist sehr klein.
In Deutschland gibt es kaum noch Privatsammler, und die
Museen sind gezwungen, sich zu bescheiden. In Amerika
werden Werke des alten Bilddrucks in beirächtlichem Um-
fang untergebracht, aber nur für einige Meister regt sich
drüben lebhaftes Interesse, für Schongauer, Dürer, Rem-
brandt und die Kuriositäten aus dem neunzehnten Jahrhun-
dert. Ein einziger Privatsammler, ein holländischer Herr,
sammelt auf Vollständigkeit hin. Hat er das Blatt schon,
so ists für einen Bruchteil des Preises zu haben, den er an-
legen muß, falls er es braucht. Blätter von durchschnitt-
licher Druckqualität, selbst die von Rembrandt oder von
den deutschen Kleinmeistern, werden niedriger bezahlt als
ehedem. Sowie aber etwas Außerordentliches ausgerufen

GERUNGEN IN LEIPZIG

wird, eine Seltenheit oder ein hervorragender Abdruck,
werden alle vernünftigen Voraussagungen in bezug auf die
Bewertung übertroffen. Wenn das Kunstwerk an Wert ein-
gebüßt hat, so scheint das Geld noch weniger wert gewor-
den zu sein, und gigantische Finanzkräfte stehen hinter den
Agenten und Händlern. Also eine müde Gleichgültigkeit,
die sich zuweilen zu überraschenden Exzessen aufrafft.
Natürlich gehen die kostbaren Stücke direkt oder mittelbar
nach den Vereinigten Staaten. Von öffentlichen Instituten
beteiligten sich nur New York, London, Stockholm, Dresden
und Berlin, aber alle mit recht zaghaftem Eingreifen.

Auch Zeichnungen wurden in Leipzig verkauft, aus den
Sammlungen Hasse, Ehlers und Vieweg, zum Teil Erbbe-
stände aus der alten Campe-Sammlung. Der Profilkopf eines
jungen Mannes, fein, stilstreng wie eine Medaille, wohl rich-
tig unter dem Namen BenozzoGozzolis, wurde für 33 000 Mark
einer jungen Londoner Firma zugeschlagen. Ein Blatt vom
jüngeren Moreau für das berühmte Kostümwerk stieg auf
5 3 000 Mark. Sonst gab es wenig Aufregung bei dieser Auktion.

Bedeutender war die Sammlung von Zeichnungen, die
Boerner im Verein mit Graupe in Berlin verkaufte am
12. Mai, die Sammlung eines Wiener Herren*. Hier gab es
einige sehr schöne Stücke von italienischen, deutschen und
holländischen Meistern, um die eben die Kräfte rangen, die
in Leipzig aufeinander gestoßen waren. Eine Zeichnung in
Metallstift, ein anerkanntes Werk von Raffael, fiel der Lon-
doner Firma Colnaghi zu — für 30000 Mark (der Preis war
zu erwarten gewesen). Ungefähr ebensoviel wurde für eine
Zeichnung von Filippino Lippi bezahlt. Sehr hoch stiegen
die deutschen Zeichnungen, ein etwas trockenes Jugendwerk
von Urs Graf auf 15 000 Mark, eine Landschaft von N. Ma-
nuel Deutsch auf 8000. Bei den Versteigerungen der Zeich-
nungen, um mich sportsmäßig auszudrücken, führten London
und Amsterdam, verwiesen Deutschland auf den dritten
Platz, Amerika war „nirgends". M. J. Friudländer.

* Anmerkung der Redaktion: Siehe auch den Bericht auf S. 395.

ACHTUNDZWANZIGSTER JAHRGANG, NEUNTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 20. MAI, AUSGABE AM 1. JUNI
NEUNZEHNHUNDERTDREISSIG. FÜR DIE REDAKTION VERANTWORTLICH: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERLAG VON
BRUNO CASSIRER, BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON FR. RICHTER G.M.B.H., LEIPZIG
 
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