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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 12
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Gemälde und Skulpturen der Sammlung Figdor
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0543

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PIER FRANCESCO FIORENTJNO
MARIA MIT DEM KINDE. 40:32,5 cm. HOLZ

SIENA, 2. VIERTEL DES 15. JAHRHUNDERTS
BRAUTSC II ACHTEL. 29.5 CID

BERNH. STRIGEL, MAXIMILIAN I.
37:25,5 cm. HOLZ

SAMMLUNG l'IGDOK, WIEN

GEMÄLDE UND SKULPTUREN DER SAMMLUNG FIGDOR

ZUR VERSTEIGERUNG AM 29./30. SEPTEMBER

T7ür Dr. Albert Figdor bedeuteten die Gemälde, die nebst
einem großen Teil der Skulpturen Ende September durch
Paul Cassirer, Artaria und Glückselig in Berlin zur Ver-
steigerung gelangen, nur einen integrierenden, untergeordneten
Bestandteil seiner Gesamtschöpfung- Unauffällig zwischen
Wandteppiche und Möbel, Kunstgewerbe und Plastik ein-
gestreut, scheinen sie nach denselben Prinzipien gesammelt
zu sein wie die Werke der angewandten Künste. Der Reiz
des „Ungaleriemäßigen" haftet auch heute noch in höchstem
Grade der Sammlung der Gemälde an, die sich, heraus-
genommen aus dem Zusammenhang des Ganzen, als zahlen-
mäßig umfangreicher darstellt, als es der Besucher der über-
füllten Räume am Wiener Volksgarten ahnen konnte. Die
bunte Vielfalt der Werke des fünfzehnten und sechzehnten
Jahrhunderts, unberührt in ihrem ursprünglichen Erhaltungs-
zustand, in der Qualität von dem untrüglichen Sinn des
einstigen Besitzers Zeugnis ablegend, läßt kaum ein neben-
sächliches Stück erkennen.

Das früheste Werk der italienischen Abteilung ist eine
toskanische Madonnentafel des Duecento, stilistisch in nahem
Zusammenhang mit einem ähnlichen, von Siren der Art des
Berlinghiero Berlinghieri zugeschriebenen Altartafel der Flo-
rentiner Accademia stehend. Dem Gefühlsinhalte nach
vollkommen der Gotik angehörend ist die Muttergottes des
Jacobello del Fiore wie das köstliche Bildchen mit der
Madonna im Garten von Giovanni di Paolo, dessen später
„Hieronymus im Gehäuse" in der Gedrängtheit der Bild-
füllung, der Anhäufung genrehafter Details und der Farb-
gebung trotz des Versuches räumlicher Durchdringung der
Bildfläche den geborenen sienesischen Gotiker nicht ver-
leugnen kann. Der international höfischen Richtung darf
der kleine Florentiner Desco da parte um 1420 mit der
Darstellung von Liebesspielen sowie eine einzigartige Perle
der Sammlung, die bekannte Figdorsche Brautschachtel Zu-
gerechnet werden, deren Ursprung in Siena durch die

Katalogbezeichnung „Domenico di Bartolo" wohl richtig ge-
kennzeichnet ist. Von besonderem künstlerischen und inhalt-
lichen Interesse sind die beiden Sieneser Biccherna-Tafeln,
deren eine das Datum 1488 trägt, und die die Kornspeiche-
rung und den Einzug der Beamten darstellen. Zweifellos
florentinisch ist die kleine Cassonetafel mit der „Legende
von den zwei Herzen", während das liebenswürdige, den
Sammelbegriff Pier Francesco Fiorentino tragende Marienbild
mit seinen unverkennbaren Einflüssen der Kunst Piero della
Francescas vielleicht eher den von Venturi vorgeschlagenen
Namen des Gian Francesco da Rimini verdient und das im
Katalog als Sellajo bezeichnete große Altarbild der Kreuzi-
gung so starke umbrische Elemente aufweist, daß es der
Art des von Berenson versuchsweise vorgeschlagenen Alunno
di Domenico näherzustehen scheint.

Den italienischen Werken schließen sich die Gemälde
der niederländischen und französischen Schulen an. Unter
diesen, die einige interessante Arbeiten umfassen, gebührt
der erste Platz einer kleinen nordfranzösischen Tafel
um 1400 mit der Darstellung der Geburt Christi. Aus der
Zeit um etwa 1440 folgen ein Sebastian und ein Hieronymus,
um 1470 die stilistisch wie künstlerisch interessante Dar-
stellung der Versuchung eines Bischofs, die an der Grenze
des spanisch-südfranzösischen Kunstkreises entstanden sein
dürfte.

Nicht weniger wichtig sind die Werke der altnieder-
ländischen Schule. Zeitlich am Anfang steht hier die aus-
drucksstarke, dem Meister von Sainte Gudule zugeschriebene
Tafel mit einem der sieben Werke der Barmherzigkeit, „Die
Armen bekleiden". Aus der direkten Nachfolge des Hol-
länders Geertgen tot Sint Jans, von dem Meister der Fig-
dorschen Kreuzabnahme, stammt eines der künstlerisch her-
vorragendsten Werke der Frühzeit, die große Kreuzabnahme.
Das unbestrittene Hauptwerk der Sammlung ist der bekannte
und oft abgebildete „Verlorene Sohn" von Hieronymus Bosch.

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