Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:
Lamm, Albert: In Memoriam Curt Herrmann
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0095

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
GROSSE KREDENZ, FLORENZ, 16. JAHRHUNDERT

AUSGESTELLT BEI HERKMANN GERSON, BERLIN

IN MEMORIAM CURT HERRMANN

VON

ALBERT LAMM

"VX7ir lernten uns schon in den neunziger Jahren in Berlin
^ kennen; es war ein wenig Durchschnitt, was wir da-
mals erlebten. Nach 1900 aber trafen wir uns im Franken-
)ura; in halber Wildnis wir beide allein, und schließlich
aufeinander angewiesen. Und da lernte ich ihn kennen
als das, was er da geworden ist.

Das Land dort kennt wohl niemand. Kleine Dörfer
Zwischen Wäldern und Felsabstürzen verstreut; Ebermann-
stadt, mit 2000 Einwohnern, „die" Stadt. Nur Bauernschaft;
ein Dutzend Beamte, ein paar Geistliche und Ärzte weit
verstreut. Rudimentäre Versuchsanfänge verschiedener Teile
des Zivilisationsapparates, Reste von Kulturen der verschieden-
sten Zeiten. Alles beherrschend: der Wald mit den Dolo-
mitklippen, und das Rauschen der Wiesent. Ich hatte im
Hauptgebiet, in Müggendorf, mir ein Baracken-Atelier ge-
baut; Curt Herrmann lebte im breiteren Vorland, in dem
seiner Familie gehörenden Pretzfelder Schloß. Wir waren
beide in allem die größten Gegensätze, und waren doch
durch unsere Malerschaft aufs engste verbunden gegen den
Rest der Welt. Was wir gemeinsam durchlebten, was wir
aneinander als unabhängig von allen äußeren Verhältnissen

erkannten, war das Verhältnis des Malers zur Umwelt. Ich
will mich nicht deutlicher ausdrücken.

Zwei Wegstunden waren wir voneinander entfernt; eine
Sekundärbahn schuf auch eine Art von Verbindung. Sommer-
hitze oder Schneesturm, der Weg schuf eine Art Sammlung
für das nächste Beisammensein. Die hohe Mauer um das
Schloß ist von rundbogenüberwölbter Gittertür durchbrochen.
Dahinter ein Garten, der in Blüten aller Farben sang. Über
die Wendeltreppe in dem eingebauten Turm kam man ins
erste Stockwerk des köstlichen, stillen Renaissancebaues.
Gänge und Zimmer voll schöner alter Dinge und Blumen.

Es ist schwer, die Atmosphäre im Pretzfelder Schloß von
damals zu beschreiben. Keine bodenständige Verwurzelung
in der Tradition des Landes; aber die regste Verbindung mit
der Geistigkeit der weiten Welt. Bei Tisch, an dem nie zu
viel Gäste zugleich saßen, unter dem Vorsitz einer alten Dame
von Geist und Witz der seltensten Art, war immer eine we-
sentliche Unterhaltung im Gange. Menschen einer vollendeten
Unabhängigkeit brachten Gedanken und neue Bücher von über-
allher mit. Ein Niveau, auf dem man schon die Weltstadt
unter sich fühlte ; eine bestimmte Grenze des heute Möglichen.

71
 
Annotationen