Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0122
DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:Liebermann, Max: Rede: gelegentlich der Eröffnung der Herbstausstellung in der Akademie
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AMADEO MODIGLIANI, LIEGENDER AKT
SAMMLUNG PAUL GUILLAUME. MIT ERLAUBNIS DER D. D. A.
REDE
GELEGENTLICH DER ERÖFFNUNG DER HERBSTAUSSTELLUNG IN DER AKADEMIE
VON
MAX LIEBERMANN
TT7ie sich die älteren Besucher der akademi-
' ' sehen Kunstausstellungen — das war ihr
Name — noch entsinnen werden, wurden die
zeichnenden Künste wie ein Stiefkind, ja sogar
wie ein Aschenbrödel in die hinteren Räume der
Ausstellung verbannt: müde vom Anschauen der
Ölgemälde wurde die Zeichnung kaum eines
Blickes gewürdigt. Es war meine erste Sorge, als
mir vor neun Jahren die Präsidentschaft in der
Akademie anvertraut wurde, der Zeichnung die
ihr gebührende Stellung dadurch zu sichern, daß
wir neben den Frühjahrsausstellungen für Öl-
malerei und Plastik den zeichnenden Künsten jähr-
liche Herbstausstellungen widmen, aus der Uber-
zeugung heraus, damit den Interessen der Kunst
wie dem Publikum gleichermaßen zu dienen:
fußt doch alle bildende Kunst auf der Zeichnung.
Sie ist ihr A und O. Es kann große Zeichner
geben, die keine Maler sind, aber es kann keine
großen Maler geben, die nicht zugleich Zeichner
sind.
In der Zeichnung, als der unmittelbarsten Nie-
derschrift des künstlerischen Gedankens offenbart
sich die Phantasie des Künstlers leichter rein und
klar als im vollendeten Bilde. Denn leider nur zu
oft lähmt längere Arbeit die Phantasietätigkeit. An
die Stelle des von der Phantasie eingegebenen Stri-
ches tritt durch das sich vordrängende Metier etwas
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SAMMLUNG PAUL GUILLAUME. MIT ERLAUBNIS DER D. D. A.
REDE
GELEGENTLICH DER ERÖFFNUNG DER HERBSTAUSSTELLUNG IN DER AKADEMIE
VON
MAX LIEBERMANN
TT7ie sich die älteren Besucher der akademi-
' ' sehen Kunstausstellungen — das war ihr
Name — noch entsinnen werden, wurden die
zeichnenden Künste wie ein Stiefkind, ja sogar
wie ein Aschenbrödel in die hinteren Räume der
Ausstellung verbannt: müde vom Anschauen der
Ölgemälde wurde die Zeichnung kaum eines
Blickes gewürdigt. Es war meine erste Sorge, als
mir vor neun Jahren die Präsidentschaft in der
Akademie anvertraut wurde, der Zeichnung die
ihr gebührende Stellung dadurch zu sichern, daß
wir neben den Frühjahrsausstellungen für Öl-
malerei und Plastik den zeichnenden Künsten jähr-
liche Herbstausstellungen widmen, aus der Uber-
zeugung heraus, damit den Interessen der Kunst
wie dem Publikum gleichermaßen zu dienen:
fußt doch alle bildende Kunst auf der Zeichnung.
Sie ist ihr A und O. Es kann große Zeichner
geben, die keine Maler sind, aber es kann keine
großen Maler geben, die nicht zugleich Zeichner
sind.
In der Zeichnung, als der unmittelbarsten Nie-
derschrift des künstlerischen Gedankens offenbart
sich die Phantasie des Künstlers leichter rein und
klar als im vollendeten Bilde. Denn leider nur zu
oft lähmt längere Arbeit die Phantasietätigkeit. An
die Stelle des von der Phantasie eingegebenen Stri-
ches tritt durch das sich vordrängende Metier etwas
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