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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 6
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0284

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CHRONIK

KUNSTERZIEHUNG
Qeit Alfred Lichtwark ist Kunsterziehung populär geworden.
^ Er hat in sich nie den Volksschullehrer überwinden können,
und hat es auch wohl nicht wollen. Pädagogisch hat derSchrift-
steller am stärksten gewirkt — und eben darum nicht sehr
nachhaltig. Auf ein Volk, das von Grund auf lehrhaft ist und
aus lauter Erziehern und Selbsterziehern zu bestehen scheint.
Lichtwark zeugte dann Wiehert. Und der ritt das Steckenpferd
so scharf, daß er sich in Frankfurt a. M. sogar zum Direktor
der Akademie machen ließ, obwohl er in Mannheim den
schönsten Befähigungsnachweis als Museumsdirektor er-
bracht hatte. Nach Krieg und Revolution ging die Saat
dann tausendfach auf. Der kommunistische Geist ist ein
didaktischer Geist, er ist radikal aus Theorie und Doktrin:
Kunst und Politik setzt er gleich. Kunsterziehung mußte
ihm willkommen sein, sie war ein brauchbares Mittel, um
den Zukunftsstaat zu organisieren. Es entstand das „Bau-
haus", in dem eine neue Kunstjugend nach kommunistischen
Prinzipien gedrillt wird und das seine Apostel nach allen
Himmelsgegenden aussendet, um die Ungläubigen zu be-
lehren. Zwei junge Apostel, die Herren Itten und Albers,
hatten wir als Vortragende eben jetzt in Berlin. Das Leit-
motiv ist immer: wie werde ich naiv? Früher sollten Kin-
der wie Erwachsene zeichnen — das führte zu nichts; heute
sollen Erwachsene wie Kinder zeichnen — ist das klüger?
Die enthusiastischen Kunsterzieher lehren Kinder und Er-
wachsene „in Punkten zu sehen", oder Montagespiele wie
im Kindergarten zu treiben, oder „Materialstudien" vor dem
Kehrichthaufen zu machen — und dieses alles für Kunst

oder doch für die Vorstufe zur Kunst zu halten. Oder sie
erzählen ihnen, es würde einst ebenso große Photographen
geben wie es Maler gegeben hat. Eine neue Akademie,
aber viel schlimmer, viel gefährlicher als die alte: eine
demagogisch politisierte Akademie.

Vor zwanzig Jahren wollte Lothar von Kunowsky schon
einmal die deutsche Kunst durch Zeichendrill retten. Wir
haben damals an dieser Stelle Widerspruch erhoben und
die Zeit hat uns recht gegeben. Wir erheben heute noch-
mals Widerspruch, gewiß, daß auch jetzt graue Theoretiker
umsonst predigen. Dieses Mal ist es freilich ernster. Denn
die Kunst der Zeit selbst hilft den Kunsterziehern. Weil
auch sie nämlich zu großen Teilen didaktisch ist. Lehrhaft
ist die Absicht, ist die Einstellung Picassos, lehrhaft arbeitet
Kandinsky, arbeiten alle die Surrealisten und Abstrakten. Von
ihnen gehen die Kunsterzieher aus.

Wofür hat Cezanne nun eigentlich gelebt, der in einem
Satz mehr über das Wesen der Kunst auszusagen wußte —
in Gasquets Buch kann man es nachlesen — als alle diese
Kunsterzieher in dicken Büchern und langen Vorträgen!

Es ist Döblins Verdienst, das Programm in einem ein-
zigen Wort gegeben zu haben. Er hat in seiner Gedenk-
rede auf Arno Holz in der Dichterakademie von einer wün-
schenswerten „Senkung des Gesamtniveaus der Literatur" ge-
sprochen. Das heißt: die Kunst soll nicht mehr — wie seit
tausend Jahren — unmittelbar auf wenige wirken und erst
mittelbar auf viele, sondern sie soll unmittelbar auf alle wir-
ken. Sie soll nicht mehr den Besten der Zeit genug tun, son-
dern den Mittleren, wohl gar den Schlechtesten. Das erinnert

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