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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 3
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Waetzoldt, Wilhelm: Aby Warburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0141

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XAVER FUHR, LANDSCHAFT MIT BAHNÜBERGANG. AQUARELL

AUSGESTELLT IN DER AKADEMIE DER KÜNSTE
MIT ERLAUBNIS DER GALERIE NEUMANN-NIERENDORF

wohlhabenden Gelehrten, der abseitige und wunderliche Ar-
beitswege ging, sie ahnten vielleicht, daß in dieser Biblio-
thek, die ihresgleichen nicht hat, eine vergeistigte Ikono-
logie und beseelte Bibliophilie zu Hause seien, aber sie
wußten nichts von dem stillen Wachsen einer die Grenzen
der Kunstwissenschaft in stofflicher und in räumlicher Be-
ziehung erweiternden geisteswissenschaftlichen Methode.
Warburgs Arbeitsweise betrachtete Antike, Mittelalter und
Neuzeit als zusammenhängende Epoche, sie befragte Werke
der freiesten und der angewandtesten Kunst als gleichberech-
tigte Dokumente, sie schloß Kunstgeschichte, klassische
Archäologie, Orientalistik, Religionswissenschaft und Philo-
sophie zu weltgeschichtlichem Rundblick zusammen. Die
Wandlungen der bildlichen Vorstellungen der heidnischen
Kulturen der Mittelmeervölker dienten Warburg als „Leit-
muschel", um die europäische Kultur seit dem Mittelalter
als ein Auseinandersetzungserzeugnis zu erweisen. Durch
Bilderrätsel, Namensfeteschismus, Seelenmoden und Wunder-
gläubigkeit bahnte sich Warburgs ikonologische Analyse den
Forschungsweg. Kyzikos — Alexandrien — Oxene — Bag-
dad — Toledo — Rom — Padua — Ferrara — Augsburg
— Erfurt — Wittenberg — Goslar — Lüneburg heißen
einige Stationen auf der Weltreise uralter Motive, richtiger:
uralter Energien. Um ein Beispiel zu nennen: Warburg ging
den Wanderungen der Sternbilder nach, in denen die antike
Götterwelt symbolisch weiterlebt und als astrale Dämonen-
schar durch Jahrtausende wirksam bleibt. Er spürte diese
Symbole in ihren geheimsten bildnerischen und literarischen
Verstecken und Verkappungen auf. Dürers Zeichnung des
Orpheustodes und sein Stich der Melancholie, Raffaels Drei
Grazien, die Venusfigur am Florentiner Campanile, die
Fresken im Salone zu Padua und im Palazzo Schifanoja in
Ferrara, Botticellis „Venus" und sein „Frühling", Rembrandts
„Claudius Civilis", eine Marmortafel der römischen Kaiser-
Zeit, die als das Planisphärium des Bianchini bekannt ist,
ein Landshuter Kamin, das Grabmal des Francesco Sassetti in
Florenz, Holzschnitte Burgkmairs und Stiche Mantegnas,

flandrische Teppiche, deutsche mittelalterliche Kalender, Ta-
rockkartenspiele der Renaissance und Häuserfassadenschmuck
in Niederösterreich, Goslar und Braunschweig, antike Sar-
kophage, Bilderhandschriften des Mittelalters, Planetarien,
astrologische Literatur bis herunter zu den Traumbüchern
der KöchiDnen, Wappen, Devisen, Embleme — nichts war
Warburg zu klein, um nicht mit den unendlich vetfeinerten
Instrumenten seiner vergleichenden Methode erfaßt, nichts
war ihm zu groß, um nicht der rein ästhetisierenden Be-
trachtungsweise entzogen zu werden. „Der liebe Gott wohnt
im Detail", pflegte er zu sagen, nicht um ein philologisches,
sondern um sein energetisches Verfahren zu kennzeichnen.

Vielleicht wäre Warburg nur ein Polyhistor geworden,
ein Gelehrter, dem seine Mittel den Erwerb einer außer-
ordentlichen Erudition erlaubten — wäre nicht sein ganzes
Tun von leidenschaftlichem Ethos getragen gewesen. Er
fühlte sich unter dem kategorischen Imperativ des interesse-
losen Suchens nach Wahrheit stehen, er war durchdrungen
von dem Gefühl führerschaftlicher Verantwortung und kannte,
wenn es die Wissenschaft betraf, nur das Unbedingte. Das
gab ihm den mitreißenden, sein eigenes Leben mitreißen-
den Schwung und es erklärt seine Wirkung als Lehrer.
Was Warburg seinen Schülern gab, war ja nicht nur Wissens-
fülle, sondern das Beispiel des treuen Dienstes am Problem.
Er lehrte, daß Geist ohne Gewissenhaftigkeit zur wissen-
schaftlichen Boheme, daß Gewissenhaftigkeit ohne Geist
zum gelehrten Banausentum führt und er lehrte mehr und
Höheres noch: daß Leistung nur aus Leidenschaft wächst.

Wie die olympisch-helle Antike, die wir als humani-
stisches Wunschbild besitzen, erst der dunklen dämonischen
Antike abgerungen werden mußte, so mußte Warburg die
heitere Klarheit seines Geistes abringen einer von Jugend
auf kränkelnden Körperlichkeit. Es gab dunkle Zeiten in
seinem Leben, in denen er die Rache der Dämonen, die er
forschend heraufbeschworen hatte, zu spüren glaubte. Aber
sein Weg führte ihn hinaus ins Helle und schließlich hin-
auf, in seiner Sprache: „per monstra ad sphaeram."

WERNER LAVES, UNTERHALTUNG. RADIERUNG

AUSGESTELLT IN DER AKADEMIE DER KÜNSTE

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