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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 4
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Wescher, Paul: Kunstausstellung und Kunstbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0179

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gewählte, sondern alle künstlerischen Kräfte vereinigt. Darum
ist das ausgestellte Kunstwerk in ganz anderem Grade
Sozietätswesen als das museale. Und ist als solches weit
unmittelbarer der Masse aller übrigen unterworfen, weil es
weniger unabhängig von ihr betrachtet werden kann. Die
Masse aller übrigen Kunstwerke wirkt in den Ausstellungen
auf die Wertbeurteilung des Einzelnen zurück. Um so mehr,
als die Art der Betrachtung unwillkürlich und dem Sinn
einer solchen Häufung von Kunstwerken entsprechend zu
vergleichen drängt.

Alle diese Relationen wirken darauf hin, daß die Aus-
stellungen vor jeder Sammlung ein gewisses diffuses Eigen-
leben besitzen, ihre Akzente gegebenerweise nicht auf,
sondern zwischen den Objekten liegen. Das bedeutet weiter-
hin, die Ausstellung wird in höherem Impuls vor der Samm-
lung als eine Einheit, als schöpferisches Ganzes erlebt. Nur
aus dem ganzen gerundeten Erlebnis enthüllt sich hier mit
um so größerer Schärfe das einzelne Werk. Darum aber
will die Ausstellung auch nach mehr als nur einer Richtung
durchdrungen sein. Vor allem die Wertstufung erfordert
eine Durchdringung, die in keiner Weise dem einfachen
Nebeneinander von Eindrücken zu vergleichen ist, wie es
in den Museen geboten wird. Und der Weg zur Kunst (um
den es dem ernsthaften Betrachter nicht weniger zu tun ist
als dem Künstler selbst) eröffnet sich im wörtlichen Sinn
erst in jenen Ausstellungen, die von Anfang an alle Stu-
fungen und Möglichkeiten künstlerischer Erfüllung enthalten.

Den Weg zur Kunst wieder zu finden ist es, was uns
heute vielleicht am meisten
angeht. Nämlich zur Kunst
als einer breiten schöpferi-
schen Basis. Nicht zu den
wenigen Namen, die in
Museen vertreten sind, in
deren Vorstellung sich
heute jegliche Phantasie
erschöpft, an deren aner-
kannter Größe sich alle
mühelos emporranken. Die-
ser Weg ist nicht vorge-
zeichnet; es bleibt jedem
Ausstellungsbesucher über-
lassen ihn zu finden. Vom
Kunstbetrachter werden
wie vom Künstler Taten
verlangt, Erkenntnisse, Be-
jahung. Die Tat vor allem,
vom künstlerischen als von
einem gesamten, gesam-
melten Schaffensvorgang
ergriffen zu sein.

Nicht beiden Künstlern
allein liegt die Schuld an
dieser kunstarmen Gegen-
wart. Kunstschöpfungen
entstehen nicht wie che-
mische Substanzen im luft-
leeren Raum. Der übertrie-

TH. TH. HEINE,
ELEGIE AUF DEN TOD EINES MOPSES

benen Kunstbejahung der vergangenen Epoche ist eine ebenso
starke Negation gefolgt. Eine Negation bis zur völligen Kunst-
verachtung. Sachlichkeit, das Schlagwort dieser Zeit (das
in Frankreich bis heute keiner kennt), bedeutet ja nichts
anderes als Unlust und Trägheit vor Erlebnissen, die wie
die künstlerischen natürlicherweise immer sentimentalisch,
subjektiv, ichsüchtig gefärbt sind. Die Malerei der achtziger
Jahre des vergangenen Jahrhunderts war in ihrer Masse ge-
wiß schlechter als die heutige. Trotzdem herrschte damals eine
wahre Kunstbegeisterung im Volk. Und trotzdem entstand in
ursächlichem Zusammenhang damit die Kunst der Impressio-
nisten. Weil Bougereau geliebt wurde, darum malte Cezanne
seine Bilder. Das ist zuviel gesagt, obwohl Cezannes höch-
ster Ehrgeiz war, wie Bougerau geschätzt zu sein. Aber man
versteht, daß es für den Künstler im Grunde nicht so ent-
scheidend ist, welche Kunst die Zeit liebt, als vielmehr,
welches Interesse am künstlerischen Schaffen insgesamt,
wieviel Gefühl dafür in ihr vorhanden ist. Dieses Gefühl
aber erzeugt sich in Ausstellungen, nicht in Museen.

Eine Einstellung, die nur auf Anerkanntes, Gewertetes,
von der Öffentlichkeit Konzessioniertes gerichtet ist, dringt
nicht bis in den Grund der künstlerischen Sendung vor. Nur
dasselbe Geschick, das dem schöpferischen Menschen täglich
erwächst, vor dem Nichts der eigenen Leistung, dem einmal
nicht Erfüllten zu stehen, kann uns zwingen, durch alle
Emotionen auch im Kritischen den Weg vom Anfang bis
zu Ende zu gehen. Und nirgends läßt sich Betrachtung
hier mehr sublimieren, stärker, vielfacher schulen als in den

Ausstellungen. Teil aus
dem Schaffen der Masse
sollte auch das Meister-
werk nicht ganz von allen
ihren Bindungen losgelöst
betrachtet werden. Was
das einzelne fertige Kunst-
werk von sich aus auszu-
sagen vermag über das We-
sen der künstlerischen Re-
alisation, ist verhältnis-
mäßig wenig angesichts
der ganzen ungeheuren
übrigen Produktion. (Und
das Problem der Gestal-
tung tritt gerade bei den
Meisterwerken am gering-
sten hervor.) Es wird mehr
und Gültiges sein, wenn
wir es wie in den Aus-
stellungen im lebendigen
Zusammenhang mit andern
sehen.

Damit aber wird sich
hinter dem vorübergehen-
den zugleich ein bleibender
Zweck der Kunstausstellun-
gen ergeben, der sich
trotzdem vom musealen
scheidet.

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