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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 8
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Purrmann, Hans: Malereien der Kinder
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0336

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Es kann uns nicht befriedigen,
die liebreiche Frühlingserschei-
nung Kindermalerei ohne weite-
res als in sich abgeschlossen an-
zusehen. Deshalb hat es beson-
deren Reiz, auch diese Kunst-
äußerung auf ihre Entwicklungs-
fähigkeit zu prüfen. Tatsächlich
sehen wir viele Lehrer und Eltern
dem Talente der Kinder große
Beachtung schenken. Aufmerksam
und besorgt suchen sie für das
spätere Leben die Frische des Ta-
lentes zu erhalten, wenn mög-
lich noch zu verstärken und den
Menschen so für irgendeinen
Kunstsinn dauernd zu gewinnen.
Dieser Versuch mißglückt aber
fast in allen Fällen: die Pubertät
bildet die Grenze. Vor dieser
Zeit finden wir bei den Kindern
einen sicheren Griff der Mittel
und nicht den Bildungsnebel, der
Kunstjünger oft so unklar wer-
den läßt. Es will mir scheinen,
als sei ein Kind (ebenso wie ein
vom Irrsinn befallener Mensch)
in der Malerei nur darum so pro-
duktiv, weil es sich, vollkommen
losgelöst, ohne alle Hemmungen,
unkritisch auszudrücken vermag
und geben kann. Dabei treibt
es ein entzückendes Spiel, das ans adolf
Geniale herankommt, es fühlt handstudien des
sich unbeachtet und übt die Ma-
lerei um ihrer selbst willen aus. In der Pubertäts-
zeit jedoch beginnt der Mensch sich zu verdecken;
mit der Zerlegung des Gefühls kommen Unter-
drückungen und Verdrängungen, die den Malereien
Unsicherheit verleihen, bis die Kinder sich ihrer
schämen, sie einstellen oder im günstigsten Fall
kühler Realität zutreiben. Das Visionäre, das gerade
einen Teil des Wesens von Kinderzeichnungen
ausmacht, wird gehemmt und geht ganz verloren.
Verfolgt man ein so künstlerisch begabtes Kind
weiter in die Jahre, so sieht man das Talent er-
löschen und verschwinden, es werden Banalitäten
der Umgebung wahllos aufgegriffen und geäußert.

Heute sieht man viele moderne Zeichenlehrer

in Sympathie und Beachtung der
Kindermalereien an der Arbeit,
Kindertalente über diese gefähr-
liche Zeit hinwegzuretten. Noch
keine Zeit hat sich so eingefühlt
und soviel Respekt vor Kinder-
arbeiten aufgebracht, keine sich
so liebevoll und eingehend auf
Erziehungsarbeit eingestellt, sich
so verantwortungsvoll gefühlt und
sich bereit gefunden zu bewun-
dern, zur Geltung zu bringen,
was so naiv erdacht ist. Aber
der Erfolg ist unbefriedigend:
die Blüten fallen in der Pubertät
und erweisen sich als unbefruchtet.

Die Erziehung, einen moder-
nen Menschen für das vielseitige
Leben bereitzustellen, läßt den
Mut verkümmern, Verdrängun-
gen zu sprengen und eigene
Wege zu gehen. Es verkümmert
also das, was bei allen künstle-
risch begabten Menschen so an-
genehm auffällt und zur Bewun-
derung zwingt.

Merkwürdig: man hört heute,
ganz im Gegensatz zu anderen
Künsten, niemals von bemerkens-
wert frühreifen Persönlichkeiten
in der Malerei; auf Kunstausstel-
lungen fehlen sie vollkommen.
menzel, Man begegnet nicht einmal, was

dreizehnjährigen anzunehmen nahe läge, Kindem

von Malern oder Bildhauern, die
sich durch Kindermalereien hervortun. Man sollte
meinen, daß diesen die Wege gekürzt und die
Jahre erspart werden könnten, besonders wenn
man bedenkt, daß manche dieser Kinder sicher-
lich Talent ererbt haben. Aber nur wenige, ja, ich
glaube, überhaupt keine Künstler haben in ihrer
Kindheit einen Genius für Malerei gehabt. Wenn
Künstler sich frühreif äußerten, so waren es selbst
von den Phantasievollsten, meist reale Nachahmung
der Natur: es sind gebundene Arbeiten, in fast
übergroßer Naturnähe entstanden. Es gibt genug
Werke, die in Erstaunen setzen ob der Jugend-
lichkeit ihrer Schöpfer, besonders die Jugendwerke
der alten Meister. Vielleicht liegt ein Grund in dem

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