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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 8
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Purrmann, Hans: Malereien der Kinder
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0340

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am gleichen Tage in Ausstellungen von Südsee-,
China- oder Rokokokunst. Ruhelos irren unsere
Augen über alle Kunstdinge, um einen Genuß zu er-
gattern, um einen Augenblick die Ruhe und Gelassen-
heit einer Ordnung zu finden, die unseren auf
Abwege geratenen Geist korrigieren.

Wir sind in eine Zeit gestellt, die sich aus-
zeichnet, durch eine nie dagewesene Fähigkeit das
gesamte unerhörte Kunstmaterial der ganzen Welt
zu überblicken. Die auch eine grenzenlose Liebe
für die bescheidensten Kunstäußerungen aufbringt.
Unsere Kinder wissen noch nicht viel davon und
greifen frisch zu — bewunderungswürdig; und
bei ihrem ersten Mißgriff stehen wir enttäuscht.
Ein Leben will uns nicht genügen, zur Erkenntnis
zu kommen. Waren wir nicht, als wir die ersten
Bilder von Cezanne sahen, erschüttert in unserer
Kunstbetrachtung, und hat er uns nicht zu einer
neuen Wahrheit verholfen, in der wir heute die
Natürlichkeit und Reinheit selbst zu finden glauben?
Streben heißt irren, und wir sollten uns nicht
wundern, daß die Pubertät den Kindern den ersten
Ansturm der Irrtümer bringt. Nur daß meistens
die Lehrer, trotz besten Wollens, diese Irrtümer
noch vermehren.

Ich habe das Buch „Der Genius im Kinde"

von Hartlaub* gelesen und bin seinen Darlegungen
gefolgt, soweit ich sie fassen konnte. Hartlaub
baut einen Berg von Wissen um die Kindermalerei,
daß einen Angst überfällt. Doch wird es kaum
ein Buch geben, das sauberer und wissender den
Stoff darlegt. Alle Dinge werden angeschlagen,
die ich hier berührt habe. Hartlaub beleuchtet den
Stand der heutigen Erziehung scharf und gibt mit
großem Ernst und Geist Ideen, Kindermalerei für
Leben und Kunst auszunützen. Und doch glaube
ich, daß Naturtalente weder erhalten, noch von
den Schlacken befreit werden können, die Ver-
irrung und eine aufdringliche Umgebung ansetzen
lassen.

Die Liebe, womit der Kunst der Kinder Auf-
merksamkeit geschenkt wird, ist eine Bereicherung
unserer Zeit. Man soll aber nicht Seelenzustände
mit wahrer Schönheit der Kunst verwechseln,
einer Schönheit, die Kindermalerei fast nie ge-
nügend zu geben hat. Denn die Malerei hat, mehr
als die Musik oder andere Künste, mit einer realen
Erscheinungswelt zu kämpfen, deren Erfassung
nur der Lebenserfahrung möglich ist.

* G. F. Hartlaub, Der Genius im Kinde, ein Versuch über
die zeichnerische Anlage des Kindes. 2. Auflage. Breslau,
1930.

ZEICHNUNG EINER VIERZEHNJÄHRIGEN

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