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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 12
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Meier-Graefe, Julius: Die Büste der Königin Nofretete
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0505

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Bildhauer allein. Verschwindet die Bemalung,
bleibt die Plastik übrig. Das, was Künstler auch
an einer unbemalten Statue Farbe nennen, ver-
gleichbar mit dem Gewebe der Pinselstriche auf
dem Gemälde, ist das Spiel der Flächen im Raum,
die rhythmisch bewegte Materie des Steins. Man
wäre baß erstaunt, sähe man einmal die Nofretete
ungeschminkt. Hier wird die Bemalung zum
Kniff. Die Vorstellungskraft des Bildhauers ist
nicht stark genug, um den Stein in Bewegung
zu setzen, und behilft sich zwecks gefälliger De-
koration mit der Anleihe beim Maler. Das hat
mit Plastik so viel zu tun wie ein koloriertes
Kostümbild mit einem erschöpfenden Bildnis. Wer
verschlösse sich dem Reiz eines gelungenen Mode-
kupfers und fände nicht an den Pariser Precieuses
und Incroyables vor hundert Jahren oder an dem
Schick eines Modezeichners von heute Gefallen? Im
Lande der Plastik machte man die Modebilder aus
geformtem Kalkstein und sparte nicht mit Grazie
und Geschmack. Das Fatale und typisch Deka-
dente liegt in der Verwechselung der Kategorien,
im Verrat an der Plastik zugunsten einer vergeb-
lichen Malerei.

Amenophis, der Schöpfer von Amarna, wo die
Precieuses seiner Zeit entstanden, war ein Outsider
in der achtzehnten Dynastie. Er stellte Politik
und Religion auf den Kopf und wollte auch sei-
nen eignen Stil haben, etwas unbedingt Neues.
Unter ihm kam der bienenkorbförmige Hinterkopf
auf, den in unserer Büste die königliche Haube
verhüllt. Amarna hat mich immer an das Darm-
stadt unserer Tage erinnert, als dort ein jugend-
licher Fürst den Jugendstil losließ. Man ging in
Amarna viel weiter. Amenophis ließ sich und die
Seinen nackt mit geschwungenen Bäuchen, spin-
deldürren Gliedern und pfropfenzieherhaftem Hals
darstellen. Im Museum von Kairo gibt es zwei

überlebensgroße Standbilder des Königs, deren gro-
teske Verzerrung den wüstesten Expressionisten in
den Schatten stellt, und Nofretete kommt als eine
Art Spinne wieder. Es hat alles in Ägypten ge-
geben, auch wildeste Entgleisung. Der Nachfolger
dieses Amenophis ist der ach so berühmte Tut-
anchamon, dessen preziöser Grabschatz einen großen
Teil des Museums in Kairo füllt. Man nennt der-
gleichen Kunstgewerbe. Die Nofretete nimmt einen
hohen Rang in dieser Kategorie ein, aber geht
nicht darüber hinaus.

Gegen den Ranofer spricht nur eins, die Ent-
fernung zwischen Berlin und Kairo, derselbe Ubel-
stand, der Europa, seit es nach antiken Vorbildern
sucht, genarrt hat. Immerhin könnten gute Ab-
bildungen, wie die von Frau Fechheimer im
Heft VIII von „Kunst und Künstler" mitgeteilten
Photos, einen Begriff von der Größe des Werkes
vermitteln. Bestimmt gehört zu dieser Erkenntnis
keine Ägyptologie. Die Angst vor Gelehrtentum
braucht keinen Empfindsamen zu schrecken. Es
genügt, an die Giebelgruppe des Parthenon,
an Bamberg oder Naumburg, an gutes China
oder an Maillol, an alles, was Plastik heißt, zu
denken.

Kairo besitzt zwei einander ähnliche lebens-
große Ranofer von gleich hoher Qualität und
glaubt, einen entbehren zu können. Man hat uns
außerdem die Statue eines sitzenden Schreibers
aus dem Neuen Reich angeboten. Ich würde
statt dessen versuchen, noch ein kleineres Stück
des Alten Reichs zu ergattern, am liebsten „Die
Familie" der fünften Dynastie. Geht das nicht,
so eins der zahlreichen Stücke derselben Zeit, die
verborgen in den Schränken stehen, weil sie wegen
Tutchen keinen Platz haben. Das geht sicher, und
mit einem Ruck wäre Berlin vorne, wo es doch
hingehört.

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