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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 12
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Glaser, Curt: Zu Delacroix' Gedächtnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0513

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sein endlicher Ausgang nicht zweifelhaft sein
konnte.

Kehrt man jetzt im Louvre von den großen
Bildern Courbets, die in der Rubens-Galerie
eine zeitweilige Unterkunft gefunden haben, in
die Delacroix-Ausstellung zurück, so empfindet
man wohl: hier ist der letzte große Meister der
Vergangenheit. Und man empfindet gerade an-
gesichts jener großen Schöpfungen, die darum un-
vergleichlich sind, weil kein anderer nach ihm mehr
zu so gewaltiger Anstrengung seine Kräfte sam-
melte, den vergänglichen Teil von Delacroix' Werk.
Man versteht das Schicksal des Meisters, gerade wenn
man hier jenen leisen Widerstand in sich selbst fühlt,
den auch die uneingeschränkte Bewunderung für
die malerische Leistung dieses großen Erneuerers
der Kunst nicht ganz zu überwinden vermag.

Denn dieser Romantiker, dessen Gesicht schein-
bar der Vergangenheit zugewendet, ist zugleich
ein Revolutionär und sein wahres Antlitz in die
Zukunft gerichtet gewesen. Mit Staunen haben die
späteren Theoretiker der Farbenzerlegung in seinen
Schriften die Bestätigung ihrer pointillistischen Ex-
perimente gefunden. Mit Bewunderung erkennt
man in manchem seiner Werke farbige Ordnungen,
die erst in den Versuchen der jüngsten Malerei
ihre Fortsetzung gefunden haben. Das koloristische
Feuerwerk des Sardanapal wandelt sich in ein starkes
Leuchten gleichmäßig erhellter Farben, das in späten
Bildern die unmittelbare Brücke zu den reifen
Schöpfungen Renoirs erkennbar werden läßt. Hier
reicht über Courbet hinweg die Wirkung dieses
Malers bis in unsere Zeit. Hier erscheint er gegen-
wärtig, so gegenwärtig wie alle großen Meister
der Vergangenheit, deren Kunst nicht vergangen
ist, weil ihr unvergängliches Teil sie über die zeit-
liche Wirkung hinaushebt.

Dieses unvergängliche Teil von Delacroix'Werk
hätte vielleicht deutlicher und eindrücklicher ge-
zeigt werden können, wenn die Ausstellung minder
vollkommen gewesen wäre. Delacroix ist ein un-
erhörter Arbeiter gewesen und eine repräsentative
Ausstellung seines Werkes kann darum nicht anders
als riesenhaft sein. Tausende von gezeichneten Stu-
dien sind in der Nachlaßauktion nach dem Willen
des Meisters verstreut worden. Hunderte haben in
dieser Ausstellung sich wieder zusammengefunden
und zeugen gemeinsam mit den Bildern, denen
sie als Vorstufe dienten, von dem Arbeitsernst

eines Meisters, der auch hierin sich als der Erbe
der Alten fühlte und ihr letzter würdiger Nach-
folger gewesen ist, da er jene selbstverständliche
Arbeitslust besaß, die sich selbst niemals problema-
tisch wird und die Frage nach dem Zweck nicht
stellt, weil ihr ein Zweifel an dem Sinn der Kunst
nicht aufstieg. Große Aufträge des Staates gaben
seinem Schaffen das natürliche Ziel, das der Arbeit
derer, die nach ihm kamen, nur zu sehr gebrechen
sollte. So sind die bedeutenden Schöpfungen des
Meisters Eigentum seines Vaterlandes geblieben,
und der Louvre, der selbst nicht wenige von ihnen
besitzt, konnte nicht wohl umhin, sie zum Rück-
grat seiner Ausstellung zu machen. Den großen Saal,
den er sonst mit Ingres und mit Courbet zu teilen
hat, füllt Delacroix nun allein mit seinem Werke,
und er füllt ihn zugleich mit einem Glänze, wie er
nur selten von den Wänden eines Museums strahlt.

Man hätte Delacroix intimer, und wenn man
es so nennen will, moderner, aber man hätte ihn
trotz allem nicht großartiger zeigen können, als
es in dieser imposanten Ausstellung geschehen ist.
Die Romantik, von der im Gedenkjahre der Her-
nani so viel geredet wird, vermag man nicht
wiederzuerwecken. Selbst die Werke des genia-
lischen Literaten, der Victor Hugo gewesen, wird
man niemals mehr mit echtem Leben erfüllen
können, weil sie immer nur ein Scheinleben, als
die Zwitterwesen zweier Zeitalter, geführt haben.
Viel weniger noch wird es gelingen, die Werke
der einstmals über alles Maß gefeierten Maler der
romantischen Schule unserer Gegenwart nahe zu
bringen. Delacroix ragt wie ein Riese über sie
empor, und es war fast ein Unrecht, das Jubiläum
der Romantik mit der Ausstellung dieses echten
und großen Künstlers zu begehen, dessen Werk
auch durch den unerläßlichen Tribut, den er sei-
ner Zeit entrichten mußte, kaum verkleinert wird,
der sich nicht wie andere mit der kleinen Mas-
kerade einer großen Vergangenheit begnügte, son-
dern der wohl ein letzter Nachkomme des für
immer versunkenen heroischen Zeitalters der Kunst
und doch zugleich ein Vorläufer der Wiedergeburt
der Malerei im Zeichen des Impressionismus gewesen
ist, und der, wenn er trotz allem ein Romantiker
genannt werden muß, in seinen reinsten Schöp-
fungen doch nach seinem eigenen Ausspruch wie
ein Klassiker der Malerei und wie einer ihrer großen
Meister unabhängig vom Laufe der Zeiten erscheint.

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