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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 17.1882

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Abrest, Paul d': Ausstellung im Versailler Schloß
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https://doi.org/10.11588/diglit.5808#0044

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Ausstellung im Versailler Schloß.

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Künstler, die den zahlreichen Besuchern als Separat-
genuß geboten sind, nachdem sie die klassischen histori-
schen Gemälde bewundert haben.

Nun, eine Bilderausstellung ist heutzutage just
nichts Außerordentliches, höchstens könnte sie Anspruch
auf Seltenheit machen, vermöge des Lokals, welches
kein Maler sich je so großartig und effektvoll träumen
ließ; was jedoch hier, abgesehen von dem Rahmen
auffällt, ist die ästhetisch sv richtige und sichere Wahl
der ausgesteüten Kunstwerke. Wie gesagt, sind fast
alle Anssteller Anfänger. Viele dieser Bilder sind Erst-
lingswerke und darunter kein einziger Mißton, keine jener
nervenerregenden Klexereien, wie wir solche in Fülle
auf den Ansstellungen der Jmpressionisten, Natura-
listen und anderen — isten sinden, die den Mangel
an Talent und Phantasie hinter haarsträubenden
Theorien zu verstecken suchen. Wir begrüßen zunächst
ein tendenziöses Genrebild, ein gemaltes Kapitel aus
der vis knrisisnns oder eine in Farben gekleidete
Erzählung des Gil Blas. Jn einem Coups erster Klasse
sitzt ein Seminarzögling mit glänzender Tartuffemiene
einem Dämchen gegenüber, deren rötliche Perrücke und
blutrote Strümpfe, welche letztere sie nicht im entfern-
testen daran denkt, unter den Falten ihres Seiden-
kleides zu verhüllen, unzweifelhaste Kennzeichen der
Gattung sind. Die Schöne bittet mit kecker Geberde ihr
vis-ü-vis um Feuer für ihre ausgegangene Cigarette;
der angehende Zögling Loyola's ist noch ein wenig be-
fangen, schaut ziemlich verdutzt drein, streckt aber dennoch
eine frisch angezündete Papieros entgegen. Nur noch
wenige Stationen, und das Herz des Jünglings wird
trotz Brevier und Ilnion (die französische Germania),
die neben ihm liegen, in heller Lohe aufgehen, das
fromme Jnstitut, dem das Dampfroß ihn zuführt, wird
seine Psorten einem rändigen Schafe öffnen, wenn er
nicht überhaupt mit der rotstrümpfigen und rothaarigen
Sirene durchbrennt. Der frechlüsterne Gesichtsausdruck
der Reisenden, das Herausfordernde ihrer Haltung einer-
seits, die läppisch tückische Physiognomie des Semina-
risten gestatten die Vermutung eines solchen Ausgangs.
Das Bild, welches ungemein sicher und lebendig aus-
geführt ist, trägt als Signatur den Namen eines Hrn.
Deneux; man darf diesem in der Wahl seines Motivs
allerdings nicht gerade nachahmungswerten Künstler
eine angesehene Stellung unter unseren besten Anek-
dotenmalern voraussagen.

Unweit von diesem Reiseerlebnis ohne moralische
Pointe hängt gewissermaßen besänftigend ein Stück
Stillleben auf der Seine. Jn der Nähe der Brücke
von Surennes schaukelt fich auf der Wasserfläche eines
jener eigentümlich gebanten, floßartigen Schisfe, welche
auf der Seine zum Transport der Kohlenvorräte oder
Äpfel benutzt werden, ungefähr in der Form der Obst-

kähne, die man in Berlin. auf der Spree sieht, aber von
viel größeren Dimensionen. Der Maler, Herr Bautier,
war offenbar auf Lichteffekte bedacht, auf jene Licht-
effekte, welche die naturalistische Schule ins Grelle
steigert, so daß unter dem Vorwande, die Reflexe in
Schattennuancen aufgehen zu lassen, man die schön-
sten Klexereien zeigt. Herr Vautier hat auch eine Vor-
liebe für solche „Schattenreflepe", aber er hat jede Über-
treibung vermieden, sein Bild repräsentirt mit Anstand
die Schule der sogenannten Seinelandschafter. Mit
einem wirkungsvollen Gemälde des Hrn. Montfallet
kommen wir in das von Knaus und Defregger be-
herrschte Gebiet, wir sehen einem ehelichen Zwiste in
einem Bauerngehöfte zu. Der Zusammenstoß muß
derb gewesen sein. Auf dem Boden liegen die Scherben
der offenbar als Wurfgeschoffe benützten Krüge und
Teller. Der weibliche kriegführende Teil wälzt sich
auf einem Stuhle nach den regellosen Zickzackvor-
schriften eines Nervenanfalles, dieser uitiwn rntio der
Damen von der Stadt wie vom Lande. Die übrigens
ziemlich summarische Hausmontur dieser streitenden
Partei hat in der Hitze des Gefechtes einige derbe Riffe
erhalten, deren Anblick den Herrn Gemahl vielleicht eher
wieder zurVernunftzurücksühren werden, als dasZureden
der Frau Mutter oder Schwiegermutter, die ihm ganz
gehörig ins Gewissen zu reden scheint, während drei
durch den Lärm herbeigelockte Kolleginnen sich mit
Riechsalz und Meliffenwasser um die Frau zu schaffen
machen. Es liegt viel Beobachtung und ein gutes
Stück gesunden Humors in der Auffaffung des Bildes.'
Jm Einzelnen hat Herr Montfallet noch manches
nachzuholen, aber mit all seinen Mängeln amüsirt und
interessirt er; das ist für Anfänger ungemein viel. —
Der deutsche Name Durst prangt in der Ecke einer
viel ruhigeren ländlichen Scene. Eine elegante Dame
aus der Stadt in luftiger Rosatoilette begleitet ein
dürftig gekleidetes Bauernmädchen, welches ein Schock
Hühner vor sich hertreibt. Herr Huttain hat ein
entschiedenes Talent für Schafsköpfe, ich meine hier
den wirklichen Kopf des blökenden Tieres, und nicht
jenen an der Seite eines Mandoline spielenden Back-
fisches meckernden Husarenleutnant eines Herrn Gilio.
Unsere Genremaler treiben entschieden Mißbrauch mit
der französischen Kavallerie; auf jeder Bilderausstellung
ist jetzt der fadblonde Husarenleutnant ein obligatorischer
Bestandteil, ein ebenso unerläßliches Requisit wie die
bekannte Judith und die berüchtigte Salome. Nur
der Rahmen ändert sich, oder richtiger die Beschäftigung,
Welche dem Abkonterfeiten momentan zugemutet wird.
Hier sitzt er beim üppigen Frühstück, dort beschaut er
sich im Spiegel. Auf einem drittem Bilde präsen-
tirt er sich auf einem Rappen und scheint die Bewnn-
derung seines Jahrhunderts in die Schranken zu fordern.
 
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