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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 17.1882

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Woermann, Karl: Zur Pseudo-Grünewald-Frage
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https://doi.org/10.11588/diglit.5808#0105

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205

Zur Pseudo-Grünewald-Frage.

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Deutschlands, ja, Europa's, das umfangreichste Mate-
rial (au Notizen und Photographien) in Bezug auf
die deutschen (und niederlLndischen) Meister des 15. und
16. Jahrhunderts gesanimelt hat, so nahm ich die
ebenso seltene wie uneigennützige Liebeuswürdigkeit, mit
der er mir dieses Material sür die Geschichte der Malcrei
zur Versiigung stellte, natürlich mit dem größten Dauke
an. Jch muß aber mit Nachdruck darauf aufmerksam
machcn, daß ich cs erst benutzt habe, unchdcm ich es,
soweit es mir irgcnd möglich war, durch Autopsie kon-
trolirt hatte. Jch habe mit Scheiblers Nvtizeu und
Photographieu in der Hand während des Jahres 1881
nach nnd nach fast alle in Bctracht kommenden deut-
schen KunststLtten wiederbesucht, teilweise auch zum
erstenmale besucht; und das Resultat dieser Rcisen war,
daß ich in weitaus den meisten Fällen (nicht in allcn,
wie aus der „Geschichte der Malcrei" hervorgeht) seine
Ansichten von schlagender Uberzeugungskraft fand. Jn
anderen Fällen einigtcu wir uns durch eingchendc
schriftliche Korrespondenz; in einigen aber blieben wir
auch verschicdener Ansicht.

Gerade das Material für Grünewald, Krauach
und „Pseudo-Grünewald" war noch nie so vollständig
gesammclt worden wie Vvn Scheibler. Er hatte gerade
diesen dentschen Meistern wegen der mit ihren Namcn
verknüpften Streitsragen ein Hauptinteresse zugewandt;
und dem entsprechend ließ auch ich es mir auf jenen
Reisen angelegen sein, die diesen Meistern gehörenden
oder zugeschriebenen Werke besonders zu studiren. Zwar
konnte ich die wichtigen Kranach'schen Bilder in den
sächsischen Gegenden nicht wiedersehen; aber die Bilder
Grünewalds, Kranachs nnd des angeblichen Pseudo-
Grünewald, welche ichinFrankfurt, Darmstadt, Aschaffeu-
burg, Nürnberg, Bamberg, München, Wien, Jnnsbruck,
Karlsruhe und Kolmar wiedersah, genügten vollständig,
um mich von der Richtigkeit der Scheiblerschen An-
sicht zu überzeugen, zumal da mir für eine Reihe der
anderen in Betracht kommenden Werke Nachbildungen
zur Verfügung standen und die Holzschnitte aus
Kranachs srüherer Zeit besonders bewciskräftig sür
unsere Ansicht sind. Die beiden Hauptwerke, auf deren
Vergleich es nach Scheibler ankommt, die Vermählung
der heil. Katharina von 1516 in Wörlitz (welche be-
zeichnet ist) und das Bild in der Frauenkirche zu Halle
(welches als ein Hauptwerk „Pseudo-Grünewalds" gilt)
habe ich leider nicht selbst vergleichen können. Wie ich
höre, sollen beide demnächst photographirt werden. Da
ich mich aber mit meinen eigcnen Augen überzeugte, daß
eiue Reihe der frllher Grünewald zugeschriebenen Werkc,
wie die Bilder der Berliner Galerie (544 und 565),
die Madonna bei Herrn Hofrat Schäfer in Darmstadt,
die Bilder der dortigen Galerie, die Taseln mit Heili-
gen im Schlosse von Aschaffenburg, Wilibald und

Walburga in der Bamberger Galerie, das Rosenkranz-
fest im Bamberger Dom, ja, auch die vermeintlichen
Flügel des Münchener Erasmusbildes (welche nur ihrer
ungewvhnten Größe wegen für den ersten Anblick nicht
gauz überzeugend sind), nicht nur ihrer Malweise nach
(was Niedermayer ja zugiebt) sondern auch ihren
Typen und ihrer Haltung nach von notorischen Werken
aus Kranachs früherer Periode, wie der Madonua mit
der Traube und der Ehebrecherin vor Christus in
München, der Jnnsbrucker Madonna, den zwei Heiligen
von 1515 und „Adnni und Eva" ini Wiener Belve-
dere, einer kleinen Madonna in Landschaft in Karls-
ruhe, einer kleinen Kreuzigung in Frankfurt a. M.
u. s. w. u. s. w. nicht zu unterscheiden sind, vor allen
Dingen aber mit den Typen auf Kranachs früheren
Holzschnitten genau übereinstimmen, so durfte ich
Scheibler ohne weiteres glauben, daß die Bilder iu
den sächsischen Gegeuden, welche ich nicht vergleichen
kvnnte, das richtige VerhLltnis noch klarer beweisen.
Das geht auch aus der Zusammeustellung in der „Ge-
schichte der Malerei" hervor. Wer uns widerlegen
will, darf sich daher mindestens die Mühe nicht ver-
drießen lassen, auf alle dicse Bilder cinzugehen.

Schließlich noch eine Hauptsache. Der Artikel in
der Kunstchronik könnte den Glauben erwecken, als
trLte ich mit Scheiblers und meiner Ansicht in der
„Geschichte der Malerei" zum erstenmale mit einer
allen Autoritäten ins Gesicht schlagenden Überzeugung
hervor. Auch das ist nicht der Fall, vielmchr geben
wir Kranach nur zurück, was jedermann ihm ließ, bis
Passavants und Waageus Jrrtum, daß dic Gestalten
der heiligen Magdalena, Martha, Lazarus und Chryso-
stomus in der Miincheuer Pinakvthek als Werke Griine-
walds beglaubigt seien, den Meister um einen Teil
seines Eigentums brachte. Fiir die erwähnten Bilder
der Bamberger Galerie ist Kranachs Urheberschaft schon
durch Sandrart, für die Madonna der Frauenkirche
zu Halle durch die von Kugler unbedenklich anerkannte
Traditivn, die sich in Dreyhaupts Beschreibung des
Saalkreises aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts
ausspricht, beglaubigt. W. Schmidt hat denn auch
schon 1876 (im Repertorium I, S. 411, womit Kunst-
chronik XV, S. 634 zu vergleichen) einige dem „Pseudo-
Grünewald" gegebene Werke wieder für Kranach in
Anspruch genommen. Julius Meyer und W. Bode
haben sich im Berliner Katalog von 1878 (S. 77)
für die Wahrscheinlichkeit unserer Ansicht ausgesprochen.
A. Wvltmann, dem ich nach Niedermayers Behaup-
tuug entgegengetreten sein soll, stimmte mit uns darin
überein, daß die früher Grünewald zugeschriebenen
Werke von verschiedenen HLnden herrührten. Jn seiner
Behandlung Grünewalds (in „Kunst und Künstler",
S. 60) sagt er von ihnen: „Es waren Werke, die
 
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