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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 17.1882

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Richter, Jean Paul: Apologetische Aphorismen über Lionardo
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https://doi.org/10.11588/diglit.5808#0209

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413

Apologetische Aphorismen über Lionardo.

411

Gewährsmänner hätten dazn kcineZcrt gchabt (S. 212)!
Es war also sehr naseweis von mir, zu verlangen,
jene Abschrciber hätten nicht blos ab und zu, sondern
rcgelmäßig am Nandc chiffrircn sollen. Wic gcsngt,
ich bedauere im Jnteresse der Ludwig'schen Kopienaus-
gabe, dnß darin nur am Ende die Chiffern znsammen-
gestellt sind, mit denen 18 benutzte Originalhandschristen
versehen waren. Sie stehcn dort unter dcr Ubcrschrift:
Nsmoria ob notia äi tntti i xsrr.i cts Inbri. Herr
Maler L. nimmt mich hier mit der Grammatik in die
Schule, und macht meine Übersetzung lächerlich „Liste
und Merlzeichen sämtlicher Buchfragmente", um mich
das llassische Dcntsch zn lchren: Gcdcnklafcl und Vcr-
zeichnis aller StUcke von Büchern (S. 208 u. II, 382
seincr Ausgabe).

Herr MalerL. hat auf das Studiiim der Abschristen
in Rom so viel Zeit und Mühe verwandt, daß es
ganz unnatürlich wäre, wenn er davon nicht auch mit
Begeistcrung zu nns spräche. Wcnn cr abcr scine
„korrekte AuSgabe auch der Philologie als eincn Eck-
pfeiler der Lionardosorschung" anempfiehlt (Rep. IV,
290), so ist er damit, glaube ich, zu weit gegangen; denn
jene Kopie ist durchaus nicht, wie er in seiner Unkennt-
nis der Originale angiebt, in einer „Orthographie,
welche derjenigen Lionardo'scher Manuskripte im wesent-
tichen entspricht", geschricben (Rep. IV, 286). Jm
Gegenteil, die neue Ausgabe des Herrn L. stellt es noch
klarer, als dic ungcnaue Manzi's, inS Licht, daß
die Abschreibcr dcn Originaltept gar nicht in dcm
Sprachidiom Lionardo's wiedergeben wollten, sondern
sast bei jedem Wort ihre eigenen Provinzialismen dnfür
cintauschten.

Jn weiteren Kreisen ist es gang und gäbe, von
Lionardo's Traktat der Malerei zu sprechen. Dazu
sagte ich (S. 18.): „Um hier zunächst einen unterge-
ordneten Punkt zu erledigen, muß hervorgehoben wer-
den, daß unter allen Originalbezeichnungen Lionardo's
von cinem selbstverfaßtcn Traktat der Malcrei nie und
nirgends die Rede ist, wohl aber wiederhvlt von einem
Inbro äslls. Uittnra, eincm Lehrbuch der Malerei".
Daraus liest sich Herr Maler L. Folgendes: „Mit einer
gewissen bedeutnngsvollen Zähigkeit heftet sich Herr
I)r. R. an den Titel „Traktat", Lionardo spreche selbst
immer nur von einem „Libro", welchcm Namen Herr
Ur. R. ganz apparter Weise die Bedeutung „Lehrbuch"
verleiht" (S. 208); als ob mein Opponent nicht selbst
im Kopienkodex „ein festes einheitliches Lehrsystem her-
vorleuchten" sähe (Rep. IV, 289)! — Er schreibt mir
fcrner die Dummheit zu, behauptet zu haben, die pro-
visorisch als „Uarts" bezeichneten Bücher der Kopie
wären auch „ohne Titel" d. h. Jnhaltsausgabe (Rep. V,
209), was er nur in den Wolken gelcsen haben kann,
aber eingehend diskutirt. Ein überaus liebenswürdiges

Kompliment wird mir in dem Ansspruch (S. 214) zu
teil, Lionardo's Texte in der Zeitschrift so wiederge-
geben zu haben, daß „des ursprünglichcn Autors Ab-
sicht kanm noch kenntlich blicb". Die Pistole, welchc
er mir hiermit aus die Brust setzt, ist freilich — nicht
geladen. Ja, gerade meine Publikationen in dcr Zeit-
schrift sind die Falle gewesen, in der mein verehrlicher
Gegner sich sclbst gefangcn hat. Man lcsc nur im
Rep., S. 212—214, wie er meine Veröffentlichungen
über den Jnhalt einer Pariser Handschrift aus der
Zeitschrift ohne alle Reserve herübernimmt. Jch frage:
womit rechtfertigt sich eine so unkritische Voreiligkeit?
was macht ihn so schnell verzichten auf die sonst sv
nachdrücklich geforderte „nvtige Garantie der Kontrolle?"
Jst überhaupt Herr Maler L. — so bin ich gezwungcn
zn sragen — imstande, eine einzige Seite Original-
handschrift sicher durchzubuchstabiren? Jch glaube es
nicht; denn in den „Vorbemerkungcn" seiner Kodcx-
publikaiion (III, 5) spricht er nur von Hörensagen
über den Jnhalt einer Originalhandschrift, die ihm
vorgelegt worden ist. Ebenda S. 2 und 3 spricht er
von dem Zustandc des Kodex (in Paris), — ich kann
nur sagen, wie ein Blindcr von der Farbe; und was
er über denselben durch mich weiß, beschränkt sich auf
die Aussage der Zeitschrift (S. 14), daß befremdlichcr-
weise kein Stück dieser speziellen Abhandlung „von Licht
und Schatten", im Traktat (der Kopienausgaben) sich
wiedcrfindet. Dies persiflirt mein Opponent sehr ge-
schickt dahin: „I>r. R. wnndcrt sich, daß im Traktat
die Lehre von Licht und Schatten gänzlich fehle,
während sich dies, wie aller Welt bekannt, nur bei
Dufresne so vcrhält, Manzi hingegen netto 277 in
dies Fach cinschlägige Kapitel publizirt" (S. 207).
Unter der Flut von Zornesäußerungen wird derLeser des
Repertoriums nnr bei einem einzigen Angriff vor die
Alternative gestellt, mich entweder für einen Dumm-
kopf oder abcr für einen Gauncr zu halten. Jch soll
so dreist gewesen sein — so liest man S. 204, —
Einzelnotizen, die überdies noch mit Fremdarti-
gem überall durchsetzt seien, mit dem Titel Buch
auSgehen lassen zu wollen, — ein Buch, wclches natür-
lich „nur zu leicht einer Verspottung der Absichten des
großen MeistcrS gleichsieht" (S. 215). Das grauen-
hafte Gespenst mciner bevorstehenden Publikation, das
hierin so lächerlich vorgemalt wird, mag im Repertorimn
ruhig stehen bleiben, so lange es seine Strohmanns-
Existenz zu fristen vermag. Die Zukunft wird es an
den Tag bringen, ob von diesem ominösen Zerrbilde
die Schande anf mich oder aber auf die Phantasie
des Malers zurückfällt. Noch eines. Jch kann mir
nicht versagen, Herrn Maler L. anf seine Behnnptung:
„die Frage nach dem von Pacioli erwähnten Buch
mnß einstweilen ganz aus dem Spiele bleiben. Will
 
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