Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1905)
DOI Artikel:
Moderne Märchen: zum hundertsten Geburtstage Christian Andersens (geb. 2. April 1805)
DOI Artikel:
Bernhard, Otto: Arnold Mendelssohn
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0022

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Moral und dem Leben draußen, und er macht nicht mehr Märchen,
die Parodicen oder Satiren sind, sondern das Märchen spricht aus ihm.
Mögen nun andre ihn loben, weil seine Märchen so „sinnig" sind,
so viel verborgene Bedeutung haben, das Leben der Großen so drollig
abmalen und was sonst gelobt wird. Wir wollen ihn loben, daß er
dies alles mitunter hat unter die Füße bringen können und dann in
der Tat den echten Mürchenhauch hat atmen oder doch ahnen lassen.

Mit diesen Gedanken legen auch wir einen Kranz nieder am
2. April. Aber wir wünschen von Herzen, daß man sich an diesem
Tage lieber darüber kkar werde, daß der Gedanke, Märchen zu schrei-
ben, von Haus aus ein schiefer ist und nur ausnahmsweise annehm-
bare Gestaltungen zeitigt, als daß man sich zu einer Nachfolge reizen
lasse, vor der wir wenigstens eifrigst und treulichst warnen möchten.

Gr G-St

Zrnotck jVlencletssokn

Arnold Mendelssohn hat sich um die Modelaunen des Publikums
nie gekümmert, und so weift sein musikalischer Charakterkopf Züge auf,
die keine „daute nouveauts" sind. Die Naivität seiner musikalischen
Sprache, insbesondere im Verhältnis zu den überlieferten Formen, ist
heutzutage vielen so fern gerückt, daß es mir notwendig erscheint, zur
Hinwegräumung störender Sorurteile und zur richtigen Einstellung
des Genießenden mit einigen kurzen Feststellungen allgemeinerer Art
zu beginnen.

Während noch vor einem Jahrzehnt alles Neue um seiner Neu-
heit willen verspottet und verlästert wurde, macht es die Tageskritik
heute umgekehrt, die „Neuheit" gilt ihr meist als die Hauptsache,
und ein Konservatorist, der eine „neue" Verwendung der Trompete
„erfunden" hat, wird als kommendes Genie gefeiert, ein ernster, reifer
Mann dagegen, der — „leider" — in Anlehnung an klassische Formen
schafft, „vermag nicht zu interessieren". Das hat zur Folge, daß
die Musiker, die nach Publikum und Kritik schielen, bei ihrem Schasfen
es ängstlich zu vermeiden suchen, an irgend etwas oder irgend
wen, als Höchstens an Mchard Wagner, zu erinnern, und daß
dadurch ihre Ausdrucksweise, stets auf der Hut „vor lauernden
Gefahren", alle ungezwungene Natürlichkeit verliert. Nun hat die
moderne historische Forschung gezeigt, wie auch das Neuschaffen des
Genies in der Regel nur fchrittweise vor sich geht und wie niemals
eine Kunstform von einem Einzelnen erdacht worden, sondern immer
nur im Laufe der J-ahrhunderte, gepflegt durch die rastlose Arbeit
von Tausenden, natürlich gewachsen ist. Die Erkenntnis, daß einerseits
die Erhaltung und stete Neubelebung der historischen Formen im Geiste
der Gegenwart eine Kulturnotwendigkeit ist, daß anderseits jede neu-
gefundene Form nur dann eine wahre Bereicherung sein kann, wenn
sie im Zwange der Notwendigkeit geboren ist, bestätigt das Ge-
schaffene von Arnold Mendelssohn. Ausgehend von der Wagner-
Lisztfchen Grundregel, daß der Jnhalt die Form zu bestimmen habe,
schaltet er mit dem überlieferten Formenschatz vollkommen naiv. Er
läßt den Ausdruck, wie er ihm in der Stunde des Schaffens natür-

l. Aprilheft ^905 9
 
Annotationen