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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1905)
DOI Artikel:
Kühnemann, Eugen: Zum 9. Mai 1905
DOI Artikel:
Stern, Adolf: Schiller im Spiegel des neunzehnten Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0153

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wie wir in schweren Lebenskämpfen die Seele retten. Er zeigt uns
das Ziel in der höchsten Bildung, in der der Mensch zum freien
Künstler seines Daseins wird. Als ein ganzer Mann sieht er das
Leben als furchtbare Tragödie, aber ohne darum zu verzagen; viel-
mehr gerade als Tragödie erfüllt es ihn mit neuer Freudigkeit. Die
herrschende Kraft seines Lebens ist die unbedingte Entschlossenheit zur
Wahrheit. Durch ihn wissen wir, daß wir in jeder ernsthaften Mühe
um die geistigen Güter sür das Leben arbeiten, und daß kein Leben
ist, wo die künstlerische Kultur verkümmert oder versagt.

Eugen Aühnemann

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Jst es gewiß, daß die Erinnerung an das frühe Abscheiden eines
schon ber Lebzeiten hoch, laut und weit gepriesenen Dichters, der seit-
dem der volkstümlichste unserer ganzen Literatur geworden ist, bei
vielen Tausenden, hofsen wir selbst bei Hunderttausenden der heute
Lebenden auch ohne jede festliche Veranstaltung erwachen würde, so
unterliegt es ebensowenig einem Zweisel, daß Millionen erst durch die
mit allseitigem Eifer und gewaltigem Aufwand vorbereiteten Gedächtnis-
feiern an Schillers letzte Tage, an die gesamte Erscheinung des Dichters,
an ihre eigene innere Beziehung zu ihm gemahnt werden. Die große
Phrase vom Erwachen des Gewissens des deutschen Volkes, von reuiger
Rückkehr zu den Göttern unserer Jugend, die angesichts des Schiller-
gedächtnistages im Schwange geht, darf man ruhig beiseite lassen.
Auch der Erneuerung der Straßenbeleuchtungen urch glanzvollen Fackel-
züge von j859 bedars es nicht. Wird ohne Frage der hundertste Ge-
dächtnistag des Todes gefeiert, weil Schiller lebt, nicht weil er
gestorben ist, so will sich doch festlicher Jubel an diesem Tage nicht
ziemen. Läßt man aber, wie es wohl durchgehend geschehen wird,
dem tiefern Ernste sein Recht und setzt man als Aufgabe des Tages:
wie dem Gedächtnis, so auch dem wahren Verständnis des Unsterblichen
gerecht zu werden, so wird es vor allem und überall gelten, das Bild
des lebendigen und wirklichen Schiller aus den zahlreichen Ueber-
malungen hervorzuholen, die das G- Jahrhundert nach wechselnden
Anschauungen und Stimmungen an ihm bewirkt hat.

Die überschwänglich reiche Phantasie der Jnder schus nach ge-
heimnisvollen und unergründeten Gesetzen die wandelbaren Verkörpe-
rungen ihrer Götter und pries die Allherrlichkeit Vischnus als „end-
loser Gestalten Trüger". Die Mischkulte des sinkenden römischen Welt-
reichs schmolzen orientalische und hellenische Jdole zu neuen Götter-
bildern zusammen. Wir sind gewöhnt, solche mythenbildende Kraft
nur grauem Altertum und weit zurückliegenden historischen Zeiten
zuzusprechen. Prüfen wir aber, wie eine gewaltige und scheinbar Allen
vertraute Gestalt im Spiegel eines nur eben vergangenen Jahrhunderts
erschienen ist, so werden wir gewahr, daß etwas von der mythen-
bildenden Kraft der Vorzeit auch den Tagen unserer Urväter, Groß-
väter und Väter zu eigen gewesen sein muß. Rusen wir uns heute
zurück, wie Schiller, der Lieblingsdichter, der persönliche Liebling Unseres
Volkes in der Erinnerung und Vorstellung ganzer Geschlechter gestanden



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Runstwart XVIII,
 
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