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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 18 (2. Juniheft 1905)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0346

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I^ose Vlätter

Kus cieni „8oncLerbünci!er" von Larl Klbreckl IZernoulli

Vorbemerkung. Der Roman des jungen Schweizers ist nach
Jnhalt und Form ein Werk heimatlicher Ueberlieferung: er behandelt eine
Episode aus deu nicht unblutigen Glaubensstreitigkeiten der Schweiz in den
vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Jn der Form dürfte er un-
schwer auf die guten und kräftigenden Einflüfse Jeremias Gotthelfs zurück-
zuführen sein. Der Jnhalt ist etwa der: Ein junger Bursch erschlägt in
der Notwehr des Krieges, aber unter Umständen, die den Verdacht eines
Mordes begünstigen, einen Mann von der Gegenpartei. Hans Hieseb, der
Verdächtigte, arbeitet sich dann als Knecht im Heimatsdorfe eben seines
gefällten Gegners friedlich zu allgemeiner Achtung durch, erringt sich sogar
die Schwester jenes zum Weibe, und zieht als Pächter auf die umworbenie
Seeau. Wie sein Glück sich allmählich wendet, erzählt der solgende Ab-
schnitt, der gleichzeitig den bedächtig bewegten Verlauf eines jener länd-
lichen Jahresfeste schildert, an denen das schweizerische Volk, trotz mancher
leider zeitgemäßen Einbußen, doch noch reich ist. Der Roman endet düstrer,
als man annehmen möchte: Hieseb verliert Weib und Kind; seine notdürftig
gefestigte innere Verfassung gerät völlig ins Wanken. Er verläßt den nieder-
gebrannten Hof, versorgt die wenigen Menschen, die ihm übrig geblieben
sind, und stirbt alsbald im Spittel. „Er hat", so sagt am Schlusse einer
von ihm, — „erst mehr Glück und dann mehr Unglück gehabt als Unsereiner.
Beachtet dieses »Mehr«. Es besagt eigentlich alles." Gerade dieses er-
schwerende »Mehr« in allen seinen Folgen anschaulich werden zu lassen,
war des Verfassers künstlerisch leitende Absicht. Er beschreibt manchmal
noch ein wenig gar zu einläßlich und ermüdend, aber er beschreibt auchi
dann noch so, wie es nur der kann, der seine Menschen dichterisch, por
dem inneren Auge, sieht und ihre Probleme als zwingende erlebt. Auch
das Furchtbare schildert er schlicht, in eigener herbkräftiger Sprache. Wir
freuen uns über dieses wahrhaftige und bodenständige Buch: es stärkt
unsere Hoffnung auf das gute Gedeihen unserer neuen Erzählungskunst. —
Der Roman (geb. 5 Mk.) ist bei S. Fischer, Berlin, erschienen.

*

Am andern Morgen, als sie zusammen das NLHere beratschlagten,
mit welcher Arbeit Hieseb einsetzen könne, hielt dieser mitten im lebhasten
Gespräch plötzlich inne, weil in das graue Licht des Wintertages ein warmer
goldener Sonnenstrahl fiel. Er schob die karrierte Gardine zurück und warf
einen Blick hinans. Ambrosmens Wohnzimmer lag im ersten Stockwerk des
erhalten gebliebenen Klosterteiles und gewährte unbeschränkte Rundsicht über
den See und sein Gelände. Eine unsichtbare Hand zog die Wolken weg.
Die Sonne stand noch hintenüber und war selbst nicht zn sehen. Aber sie
übergoß alles mit ihrem Golde. Hieseb versank in den Anblick. Was war
aber das dort im See, ein Stück Land und dahinter wieder Wasser? „Das
ist die Seeau." — „Die Seeau?" — „Ja, die Jnsel." „Jnsel?" — „Weißt
du denn nicht, was eine Jnsel ist?" — Was es war, wußte er schon;
aber gesehen hatte er noch keine.

Als Hans diesen ersten, unbedachten, rein zufälligen Blick übers Wasser
zur Seeau hinübergeworfen hatte, war das Glück dieser Entdeckung etwa

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Runstwart XVIII, s8
 
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