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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 24 (2. Septemberheft 1905)
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0739

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Eine blaue Tür mit verwitterter Bemalung, ein Garten und ein Haus
dahinter, die Herbstsonne darauf, in der Ferne Schrosfen und Firnen — das
mag man wohl im Engadin finden, wo Erich Erler-Samaden zu arbeiten
pflegt. Was dieses Bild an tieferem Gehalt bringt, hat aber ficherlich nur
der eine dort gesehn, der's malte. Dem kamen die Farben und Formen
der Wirklichkeit „so sonderbar vor", ganz leise veränderten sie sich ihm,
und siehe: auf die Pfosten hinauf wuchsen als Holzschnitzereien das Fräülein
mit dem flammenden Herzen in der Hand und der Großbärtige mit dem
Türkensäbel, dem sie's antut; das Spalierobstgerank drinnen am Zaun, die
Herbstblumen im Garten, das rote Laub, die Berge im Schnee, das alles
bekam zu seinem Dasein und Erscheinen noch Bedeutung, kurz: aus dem
Sehen ward Schauen, und aus dem Abmalen Umgestalten. Es ist schon eine
ganz eigenartige Elegie, die nns Erich Erler hier gemalt hat. Nebenbei:
Wie sicher arbeitet ein Künstlergeist, dem im Hintergrunde die kleine Gestalt
der Sinnenden sozusagen als Tüpfelchen auf dem i genügt, wo ein minderer
Maler breit, aber für den feineren Geist aufdringlich und lange nicht mit
fo tiefer Wirkung eine große in den Vordergrund gesetzt hätte, um doch nur
dasselbe zu sagen!

Wie vielerlei Stoffe hat Hans Thoma schon gemalt! Denken wir
nur flüchtig an sein langes Lebenswerk, was huscht alles vor unsrer Er-
innerung vorüber von Menschenbildnissen und Volksschilderungen, von Tier-
stücken, von Helden-, Engels- und Gottesbildern, und gar von irdischen
und unirdischen Landschaften Deutsch- und Welschlands — nur eine Alpen-
schilderung hatten wir bis zum vorigen Jahre noch niemals von ihm ge-
sehn. Aber einer wie Thoma wird ja nicht alt, hat also mit siebzig Jahren
noch reichlich Zeit, sich ein neues Kunstland zu erobern. Während eines
Sommeraufenthaltes sIOH in der Schweiz verstand er plötzlich, wie die
Alpen auf Thomaisch reden. Und was dem seligen Koch die Schmadribach-
fälle als ein Ahnen zugerauscht, hier klang es aus deutlichem Gesang, das
Lied von der Größe. Das Staubbachtal mit der Jungfrau im Hinter-
grunde war Thoma nur anregendes Motiv, auch hier gestaltete die Phan-
tasie im Schauen um, was das Auge gesehen, bis diese gemalte Hymne
auf die Erhabenheit des Hochgebirges ertönte. Sieh dich ins Bild hinein,
Beschauer, gemächlich und, ist es nötig, wiederholt, bis auch du sie über
diese Welt mit den Wolken droben hinziehen hörst! Dann wirst auch du vielleicht
ausrufen: das ist eines der schönsten Werke unserer deutschen Landschafts-
malerei überhaupt! Weil ich für mein Teil davon überzeugt bin, laß ich
das Bild außer für den Kunstwart selber auch noch in größerem Format
für unfre Vorzugsdrucke in Farben ausführen, wobei denn freilich von
feinen Werten noch mehr verbleiben kann.

Da wir einmal in den Alpen sind: Konrad Grobs Senn gehört
auch dazu. Sonntagmorgenstille hoch droben im Gebirg, irgendwoher ganz
aus der fernen Tiefe mag leise ein Glockengeläutlein heraufwehen, da
hat er sich hingelegt und liest (leicht geht's wohl nicht), liest in der Bibel. —
Eigentlich ein „literarischer" Stoff, werden viele sagen, sogar ein etwas
„sentimentaler". Aber eben das macht das Bild uns wert: wie es ge-
geben, ist es nicht sentimental. Es ist nichts Gemachtes, nichts Arrangiertes

658 Runstwart XVIII,
 
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