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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1905)
DOI Artikel:
Bartels, Adolf: Die Grossen und die Kleinen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0632

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vie Grossen unck clie Kleinen

„Große Talente stammen von Gott, kleine vom Teusel", hat
Hebbel einmal gesagt, und er hat dann auch das Elend der kleinen
Talente oder doch einer bestimmten Art von ihnen in einem seiner
Aufsätze, in „Wie verhalten sich im Dichter Kraft und Erkenntnis
zueinander?" näher beleuchtet. „Die triviale Naivität", schreibt er,
„wurzelt im vollständigsten Erkenntnismangel und wird nur durch
diesen, nur durch das, was ihr fehlt, in Tätigkeit gesetzt. Jn ihm
feiert die Natur den possierlichsten ihrer Triumphe und erreicht durch
Versagen und Nehmen, was sie durch Gewähren und Geben nie erreichen
wird: unerschütterliche Selbstgefälligkeit und unerschöpfliche Produk-
tivität. Jhr beweist die Abwesenheit einer Eigenschaft immer die An-
wesenheit einer andern; die Leere an allem idealen Gehalt zum Bei-
spiel die Fülle konkreten Lebens.* Sie weiß von keinem Gesetz, weil
kein Gesetz auf sie rechnet, und kann sich deshalb auch an keins stoßen;
sie soll nur spielen, und sie spielt das Königsspiel in dem schranken-
losen Bereich des Nichts. Desungeachtet erlaubt sich die Natur nicht
etwa bloß einen neckischen Scherz mit ihr, sondern erfüllt eine mütter-
liche Pflicht gegen sie, wenn sie das Licht von ihr abhält. Uebergehen
konnte sie sie nicht, sie war möglich und darum notwendig, aber
eben, weil sie ihr alle und jede Ausstattung für Tat und Wirkung
vorenthielt, war sie ihr einen Ersatz in erhöhtem Selbstgenuß schuldig,
und den hat sie. Freilich gibt es auch, und das ist natürlich, da ja
jede Stufe weiterführt und sich alle Uebergänge ineinander verlaufen,
in dieser trivialen Naivität Grade, und es finden sich Jndividuen,
die zuweilen eine Ahnung des inneren Defizits durchsröstelt; so haben
wir jetzt in Deutschland einen erwachten Jffland,** der sicher mehr ist,
wie der srühere schlafende, und der doch wie weniger aussieht, weil
er sich selbst bezweiselt. Doch das geschieht nur in einzelnen seltenen
Momenten, und von einem Durchbruch der Erkenntnis ist nicht die
Rede, sie unterdrücken ihn mit Gewalt. Der sliegende Fisch tröstet
sich, wenn er wieder heruntertaumelt: ich bin der Bruder des Adlers
wie des Leviathans zugleich, und die Fledermaus denkt: mir gehört

* Jm Hinblick aus manche moderne Talente wäre das umgekehrte Bei-
spiel zu bringen: Mangel an konkretem Leben soll Stärke des idealen Gehalts
beweisen.

** Zielt auf Gutzkow.

ü Septemberhest 557
 
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