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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1905)
DOI Artikel:
Vogel, Max Alfred: Gedichte in der Volksschule, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0090

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Gectiekle in cler Volkssckule

Die Art, Gedichte in der Volksschule zu behandeln, scheint mir
im wesentlichen viel mehr Sache der Persönlichkeit als irgend einer
Methode, Ergebnis aus Bildung, Temperament, Empfänglichkeit für
Kunst usw. des Lehrers. Aus dem Bericht darüber, wie einer die
Aufgabe zu lösen versucht, kann deshalb vieles falsch verstanden werden.
Mimik, Gebärde, feine, kleine Jmpulse, die sich körperlich irgendwie
äußern, der Ton der Stimme, die persönliche Ergrifsenheit von der
Sache, Frische, Herzlichkeit und doch der tiefe Ernst auf dem Grunde,
das gibt der Arbeit erst das eigentliche Leben. Und davon muß man
hinter den Worten etwas fühlen, wenn man die folgenden Proben recht
verstehen will.

Ob marüs recht gemacht hat, zeigt sich auf dreierlei Weise. Zu-
nächst sofort an der Freude in Auge und Angesicht der Kinder. Dann
daran, daß sie das Gedicht unaufgefordert so schnell wie möglich lernen.
Und schließlich daran, daß Eltern und Erwachsene an dem Vortrag
der Kinder Freude und wirklichen Genuß haben. Diese dreifache Kon-
trolle hat für meine Art der Gedichtbebandlung gesprochen.

Goeikes I)eiclenroslein

Jch habe vor, das Gedicht in den nächsten Tagen meinen Kindern '
(8—9jährigen Mädchen) darzubieten. Auf meinen Spaziergängen sag' ^
ich das Gedicht laut, suche eine (möglichst die natürlichste und deut- ;
lichste) Art des Vortrags mir festzuhalten; denn vor den Kindern darf ;
nichts mehr am Ausdruck geändert werden. Jch fühle das Gedicht '
aus Schwierigkeiten hin durch.

Jn der Heimatkunde gebe ich im Anschluß an ein Stück Heimat <
eine k'urze Schilderung von der Heide, ohne Entwicklung eines Be- !
griffes, mehr wie auf ein Märchen gestimmt. Nur daß die Kinder '
bei dem Wort Heide eine Anschauung, womöglich mit leisen Gefühls- z
tönen, haben.

An einem Sommermorgen bring ich eine Knospe von der Heiden- j
rose mit, noch vom Tau frisch. Jch zeige sie den Kindern ohne jede !
Gelehrtenhaftigkeit, lasse sie nur meine Freude an der Schönheit fühlen. ^
Jch lasfe sie ohne Wasser. Mittags ist sie dann welk, und nun kommt !
unmerklich das Wort „morgenschön" als Bezeichnung ihrer frischen !
Schönheit und als Gegensatz zu „mittagswelk". Damit ist kein neues >
Wort gebildet. Die Kinder wissen recht gut, daß ich gewisse Worte nur ^
als Gegensätze gebrauche. Aus dem Vergleich der zarten Knospe mit ^
einer aufgeblühten und fast entblätterten Blüte entstehen die Worte ^
„jung" und „alt".

Vielleicht bring ich am andern Tage eine Zentifolie zum Ver- !
gleich mit. Dann bekommt das Wort Heidenröslein den Gefühlston ^
von Landmädchen im Gegensatz zu Stadt- und Gesellschaftsdame. (Das !
läßt sich schnell als Märchen geben.) Einfache, schlichte Schönheit im
Gegensatz zu Pracht und Stolz. Heidenröslein muß nun klingen wie
„Gänsemagd" im Märchen, man muß fühlen, daß sie würdig ist eines
Prinzen Gemahlin zu werdeu.



2. Axrilheft t905

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