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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1905)
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Avenarius, Ferdinand: Meunier
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0279

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^sumsr

„Die Hütte, ach ist sie schön, die Hütte! Es gibt nichts

schönres, als die Hütte. Von epischer Größe ist sie. Diese Farbe der
Hütte! Und ihre Musik! Und diese Plastik in allen Bewegungen

dort! Den Augenblick herauszuspähen, wo ihr Ausdruck gesammelt,
wo sie ganz Ausdruck sind! Ach, wern ich nicht so alt wäre, wenn
ich wieder hingehen und statt meine Gabe bloß zusammenzuhalten,
sie dort wieder mehren könnte! Wenn ich mich erneuern könnte im
Sehen, es ist ja alles unerschöpflich dort! Sehen Sie, was mich
zunächst packt, das ist immer das Plastische dabei. Das Mit-

leid, das kommt dann — aber die klassische Schönheit in diesen

Bewegungen! Auf die Einzelheiten geh ich nicht aus. Auch aus
die Alltäglichkeiten nicht. Die Tracht zum Beispiel, die geht für
mich ganz im Gesamteindruck unter. Was ich im Kleinen auch sehen
mag, ich schau es immer ins Große. Den Ersolg hab ich wirklich nicht
gesucht, ich hab um der Freude willen gearbeitet, weiterzugeben, was
ich sand . . . Ach, die Hütte! Ach, wenn ich jünger wäre!"

Das sind Worte, die der siebzigjährige Meunier kurz vor seinem
Tode in der Begeisterung zu einem begeisterten Besucher gesprochen
hat.* Wer hat Meunier je besser charakterisiert, als er mit diesen paar
Ausrusen sich selbst? Den Mnstler Meunier, dessen ganzes Leben
seine Arbeit, dessen seligste Erinnerung die Zeit war, da seine Arbeit
befruchtet ward, der als Erneuerung seines Jchs die Neubesruchtung
seiner Arbeit fühlt! Dem tief Ursprünglichen, der nicht von 5kunst-
werk zu Kunstwerk weitertastete, sondern unmittelbar aus dem Leben
Schönheit heraussah, wo es andern gleichgültig, nein, häßlich erscheint,
Schönheit, die er als höchste, als klassische Schönheit erkannte. Den
Bildhauer, der so mit dem Auge lebte, daß ihn immer zuerst der
Augeneindruck sesselte und entslammte. Den Menschen, zu dem durchs
Auge doch immer die Seele sprach. Den Schöpfer, dem auch das Aus-
lesen und Vereinfachen nicht genügte, der in seines Herzens Glut
läuterte und das von üraußen mit dem im Jnnern zusammen zeugen
ließ, bis das geschasfene Werk vor ihn und dick Brüder trat.

Meuniers Leben ist seltsam verlausen. Ein ernster, düsterer Jüng-
ling, Zögling der ernstesten Mönche, der schweigenden Trappisten,
sehnt er sich nach Kunst und ahnt er seine Sprache bei der Bildhauerei.
Aber der ihn einführen soll, zeigt ihm heitere Antike, äußerlich nach-
geahmt. „Hier soll ich sinden, was mir fehlt?" Er wendet sich zur

* Zu dem französischen Kunstschriftsteller Marcel Hobert, der sie sofort
genau auszeichnete und jetzt die Güte hatte, sie uns im Wortlaut mitzuteilen.

t. Iuniheft t905 233
 
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