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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 22 (2. Augustheft 1905)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0613

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„Gewiß," antwortete das Mägdelein, „glanb' ich das. Und freuen
tue ich mich auch um deinetwillen, daß du so ein Glück hast."

„Ja, es ist fein," lächelte Simerl.

Und die Sali freute sich noch auf dem Wege, als sie spät heimkehrte.
Am Abendhimmel, dem sie entgegenging, glomm ein goldiger Glanz, und
sie dachte sich: „Aha! da wird vielleicht schon an den goldenen Brücken
gebaut, über die der Herr Singold den Simerl in das Schloß der Fram
Sonne sühren wird. Aber wird das schön sein! Und was er mir alles
davon erzählen wird!"

Also ging sie, in dem Gedanken glücklich, heim. Und als sie schon
in ihrem Bettchen lag, da sann sie noch eine Weile und schlief selig ein

in der Erinnernng an das, was sie heute von Simerl gehört hatte.

Am andern Morgen ging die NesteÜ die Bodenstiege hinauf, um nach
dem Buben zu sehen. Sie war übermütig heiter, trat mit einem Tralsala
in die Kammer und rief unter Lachen:

„Na, wirst nicht bald aufstehn, du Dilltapp? Der schönste Tag ist
draußen, und du liegst noch in den Federn, als wenn du krank wärst.
Schämst dich nicht, Bub? Auf! frisch und munter! hab' ich gesagt."

Damit hatte sie sich dem Bette genähert und bemerkte, daß der Knabe

die Augen sonderbar geösfnet hielt.

„Was schaust denn?" lachte sie. „Etwa einen faulen Käfer? Da
mußt dich selber anschauen und kein anderes.

Dabei faßte sie ihn an den Schultern, wie sie pslegte, um ihn aus-
zurütteln. Da kam eine Einpfindung in ihre Hände, die sie noch nicht
gehabt hatte. Etwas Fremdes, Kattes hatte sie angefaßt, das sie unter
dem Linnen an Simerls Schnlter sühlte. Eine plötzliche Angst überkam
sie. Mit beiden Händen langte sie nach seinem Gesicht — und der kalte
Tod griff durch die Handflächen in ihre Adern ein.

Sic siel mit einem Aufschrei vor dem Bett nieder aus die Knie:
„Heilige Mutter Gottes, bitt sür uns arme Sünder! —"

Ja, der Simerl war tot.

A Kassandra, Drama von
Herbert Eulenberg. (Berlin,
Fleischel und Co.)

Nach meinen jüngsten Erfah-
rungen mit den Werken Eulenbergs
hatte ich angefangen, meine Hoff-
nungen aus eine bedeutendere Ent-
wicklung seiner Begabung herabzu-
stimmen. Dennoch war ich, um's
gleich herauszusagen, auf eine solche
Enttäuschung nicht gesaßt, wie sie
mir die „Kassandra" brachte. Schon
der Jnhalt des Werkes bezeugt 'sür
mein Empfinden schlagend, daß auch
Eulenberg dem gewöhnlichen Miß-

geschick erliegt, durch unentwegtes
Häufen von erschütternden Ereig-
nissen und ergreifenden Motiven dra-
matisches Leben gestalten zu wollen.
Nicht weniger als die Schlußkata-
strophen von drei gewaltigen Sagen-
tragödien bringt er in dem einen
Drama unter und sucht aus jeder nach
Möglichkeit ihre Wirkung zu ziehn;
der Heldentod Hektors, der llnter-
gang Trojas, die Ermordung Aga-
memnons, sie werden eingehend neben
dem Hauptstück, der Seelenschilderung
Kassandras, behandelt. llnd auch diese
Seelenschilderung selber, sie entwickelt

2. Augustheft (905
 
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