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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 20 (2. Juliheft 1905)
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Krug, Wilhelm Walther: "Christliche Literatur"
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Weber, Leopold: Zur poetischen Anschaulichkeit: eine Entgegnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0461

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Wie das gekommen ist, daß gerade Kreise, in welche die Kraft
und die Klarheit alt- und neutestamentlicher Sprache täglich ein-
dringt, der Ohnmacht, der Schwäche, der Phrase verfallen? Grade
dieser tägliche Umgang hat es vermocht. Jene biblische Sprache ist
für Ausnahmetage gemacht. Wollte man sie täglich mit empfin-
dender Seele reden, man würde an ihr zerbrechen. Dies würde tatsäch-
lich über nnsere Kraft gehen. So lernte man sie gebrauchen, ohne
sie zu empfinden und fo entstand die Phrase. Und so erklärt es sich,
warum in keinem Literaturzweig die Phrase sich so breit macht wie
in dem, von dem hier die Rede ist.

Auch die „religiösen" Schriftsteller sollten in einem einfachen
Deutsch des täglichen Lebens schreiben, sie sollten ihre Menschen
reden lassen, wie sie auf dem Markt und auf den Gassen reden,
ganz nach Luthers berühmtem Ausspruch, aber nicht in der Sprache
seiner Zeit, die uns Festsprache geworden ist, sondern, da wir
heute leben, in der Sprache von heute. Sie sollten die überkommenen
frommen Wendungen beiseite stellen und die fromme Gesinnung sich
schlicht und einfach im Tun und Meiden ausleben lassen. Das wird
den „verwöhnten" Lesern anfangs nüchtern, kahl und oft — grob
vorkommen. Es stehen höhere Güter auf dem Spiel, als daß man
das scheuen dürfte. Wir müssen diese Sorte von Literatur über-
winden, weil ihre schweren ästhetischen Mängel schwere ethische
Folgen haben. wilhelm walther Rrug

2ur poeliseken -Insekauttekkeil

Line Lntgegnuna

„Die Schau- und Hörwelt in der Dichtung" überschreibt Paul Berg-
hof in der literarischen Beilage der „Hamburger Nachrichten" einen Aufsatz,
in dem er zu großem Teil gegen die „Kunstwartästhetik" zu Felde zieht.
Das Gewicht der kritischen Aus- und Aufstellungen Berghofs rechtfertigt
an sich eine längere Besprechung wohl kaum, aber seine Ausführungeu
berühren grundsätzlich so wichtige und fesselnde Fragen und fördern dabei
unseres Erachtens eine Menge so weit verbreiteter Mißverständnisse und
Jrrtümer in so entschlossener Weise zutage, daß sich ein näheres Ein-
gehen um der klaren Aussprache willen denn doch entschieden lohnt.

Nehmen wir zunächst die Abwehr pro äomo vor; schon sie veranlaßt
gleich eine Reihe von „Grundanschauungen" aufzurollen. Berghofs Vor-
würfe besagen knapp zusammengefaßt: der Kunstwart will iu der Poesie
nur von der „Kunst des Auges" etwas wissen, ohne ihre „Hörwelt"
zu beachten. „Avenarius und seine Kunstwartleute", schreibt er, „sind eben
von der Aesthetik der Linie derartig befangen, daß sie die ganze Poesie
in Linien auflösen möchten." Und das gibt ihm den Anlaß, diese und
ähnliche Leute zu mahnen: „Darum muß auch einmal darauf hingewiesen
werden, daß die erziehlich wirken wollenden Aesthetiker sich mit ihrem
Hephata nicht nur immer an das Auge, sondern auch an das Ohr wenden
müssen, uns nicht nur sehen und schauen, sondern auch hören und lauschen
lehren." Denn, so belehrt er uns: „es gibt noch eine andere Gegenständ-
lichkeit als die des Auges."



2. Iuliheft M5

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