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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 17 (1. Juniheft 1905)
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Rundschau
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Unsere Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0324

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geformtem Papier, und sie waren
gebunden auf den geeignetsten Draht,
der fich ersinnen läßt. Da erhob
fich ein Redner nnd sprach: „Sehet
diefe Blumen an. Sind sie nicht
köstlich? Und was bedürfte es langer
Reden und großer Mühen zum Schutze
der Heimat, wenn sie allenthalben
vermöchte, wie diese hohen Blüten
unserer Drahtknltur? Auf, laßt uns
streben, daß die Unverwelklichkeit des
Papieres und Drahtes Gesetz werde
für alles im Lande, was da gierig
und störend sich mühet, zu wachsen
und zu blühen, und was doch nur
dem sicheren Tode des Welkens ent-
gegenreift!" Es mag aber sein, daß
er nicht ganz so vermeinete, wie er
sprach.

Als man nun in derselben Stadt
nach Jahresfrist daran ging, einen
großen Mann zu feiern, von dem
Eingeweihte behanpteten, er sei ein

Dichter gewesen, und habe auch die
Blumen geliebt und in seine Dich-
tungen gestreut, da richtete man ihm
ein Bildnis anf und schmückte es mit
hervorragend schönen Blüten ganz
und gar aus Papier und Draht.
Der lichte Geist des erhabenen Man-
nes aber wandelte gerade über die
blühenden und duftenden Hänge des
nächtlichen Tales und erlabte sich au
dem lieblichen Bilde. Da hörte er
seinen Namen gewaltig anrufen, und
sah sein Bild unter dem drahtlichen
Schmucke. Und er erstaunte sehr.
Denn, so sprach er danach zu dem
großen Freunde, mit dem er täglich
zusammen an der goldenen Tafel
des Paradieses sitzt: „sehn Sie, lieber
Goethe, zu unsrer Zeit war man
noch nicht so weit mit dem Draht
und was damit zusammenhängt."
Jener aber antwortete: „Warum
laufen Sie auch hinunter, Lieber?"

Nnsere VUclei' «nä j^olen

Dem heutigen Hefte ist ein Bildnis Meuniers vorgesetzt: die Wieder-
gabe einer photographischen Momentaufnahme, die, obwohl sie den ver-
wachsenen Körper nicht verschweigt, denuoch und gerade durch den Kon-
trast die große Ausdruckskraft des Hauptes nur um so überzeugender her-
vortreten läßt. Zu den weiter solgeuden Wiedergaben des „Verlorenen
Sohnes", des „Christus" und des „Krabbenfischers" wolle man den Leit-
aufsatz von Avenarius vergleichen.

Der Leser möge entschuldigen, wenn wir mit der Erläuterung zur
„Gruppe aus dem Tartarus" uachhinken. Durch eines jener Versehen, die
das Fatum zu verhängeu Pflegt, ist der Text zu spät fürs s6. Heft ein-
getroffen. Zunächst holen wir also nach: Schillers „Gruppe aus dem
Tartarus" in der Komposition von Franz Schubert gehört zu jeuen
großartigen Stimmungsbildern des Liedmeisters, womit er seiner Zeit weit
vorauseilend die erweiterten Ausdrucksmittel der neueren Kunstentwicklung
vorausgenommen hat. Sie reiht sich ebenbürtig dem „Fragment aus dem
Aeschylus", dem „Schwager Kronos" und „Prometheus" au, auch insofern,
als sie die geschlossene Form der Liedweise verläßt und eine, durch die
dichterische Form bedingte, freie lyrische Phantasie darstellt. Wäre nicht
die gedanklich unbegründete, bloß der Befestigung des Schlußgefühls dienende
Textwiederholung am Ende — die Wiederholung im Mittelteil wird nur
als Veranschaulichung des wiederholten Vorgangs empfunden —, man könnte
diesen Gesang sür das Werk eines moderuen Genies halten. Die Singstimme
bewegt sich in ausdrucksvoller Deklamation über einer ganz orchestral kon-

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Kunstwart XVIII,
 
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