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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 16 (2. Maiheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0255

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Goethe als Erzieher
Als im Jahre (890 das Buch des
Rembrandt-Deutschen seiuen Sieges-
zug antrat, zeigte es der Obmann-
Stellvertreter des Wiener Goethe-
vereins — K. I. Schröer — in der
Chronik dieses Vereines an. Er war
wenig mit ihm zufrieden. Die Rolle
des Erweckers zu neuem geistigen
Leben sei nicht dem rechten zuerteilt,
meinte er; wolle man einem die
Erzieherwürde des deutschen Volkes
zuerkennen, so köune es nur Goethe
sein. „Was bisher über Goethe als
Erzieher geschrieben ist, ist leider
alles viel zu flach, um seine Be-
deutung auch in dieser Hinsicht an-
schaulich zu machen." Gerade slach
waren nun zwar die einige Jahre
srüher erschienenen Bücher von
Langguth nicht: „Goethes Pä-
dagogik" trat sogar mit dem An-
spruch grundtieser Gelehrsamkeit auf;
aber der Verfasser war an dem Ver-
such gescheitert, die Fülle vou Weis-
heit in ein vorgefaßtes System ein-
zuschachteln und mit dem Netz eines
armseligen Begriffsschemas zu über-
spannen. Dem überquellenden Reich-
tum individuellen Lebens gegenüber
versagte auch in „Goethe als Pä-
dagoge" die Kraft und Kunst des
Verfassers durchaus: im ganzen zwei
Bücher so ungoethisch wie möglich.

Da kommt nach beinah zwei Jahr-
zehnteu ein neues Buch, von Bern-
hard Münz, das aus den ersten
Blick ganz geeignet erscheint, die An-
sprüche an eine Darstellung „Goethes
als Erzieher" zu erfüllen. (Wien,
Braumüller.)

Das Stichwort schließt ein ge-
waltiges Programm ein. Gewiß war
Goethe ein Erzieher allergrößten
Stiles. Das Problem, das Kant „das
größeste und schwerste" nennt, „das
dem Menschen kann aufgegeben wer-

den", hat zu allen Zeiten seines
Lebeus sein Fühlen und Denken be-
wegt, jedes seiner bedeutenderen
Werke birgt Schätze pädagogischer
Weisheit, von deren Verwertung
unsere herkömmliche Erziehung, na-
mentlich nnsere Schulerziehung, in
ihrer traditionellen Befangenheit,
Buchwissen und Wörterkenntnis wei-
terzugeben, noch himmelweit entfernt
ist. Und zur Erzieherpraxis brachte
er zwei Voraussetzungen mit, die
eine tiefe Wirkung sicherten: die Hin-
neigung zur Kinderwelt, ein hervor-
tretendes Merkmal seiner Persönlich-
keit, und die in unablässigem inneren
Ringen erworbene Fähigkeit der
Selbsterziehung.

Der Titel des Münzschen Buches
berechtigt uns zu großen Hoffnungen.
Arg enttänscht legen wir's aus der
Hand.

Da fehlt znnächst jede Scheidung
zwischen dem engern und weitern Um-
fang des Begriffes Erzieher. Gewiß
hat Goethe sowohl Fritz von Stein
als auch Karl August „erzogen";
wer aber die beiden Erziehungsob-
jekte, das Kind und den Mann, unver-
mittelt nebeneinanderstellt, schweißt
Dinge znsammen, die in weitem Ab-
stande von einander stehen. So geht's
durch das ganze Buch. Das Werk
springt mit gewaltsamen, zuweilen
geradezn komisch wirkenden Ueber-
gängen von einem Gebiet in das
andere. Zu dem Mangel an Ord-
nnng gesellt sich der an Gründlich-
keit. Jn einem schmächtigen Büch-
lein /Uäßt sich die gewaltige Ge-
dankenmasse, die der Titel umschließt,
nicht unterbringen. So behilft sich
der Verfasser mit Andeutungen; er
greift in nichts gründlich ein, son-
dern berührt es nur mit dem
„Aeußersten seines Fingers". Da-
durch entsteht ein aphoristisches Aller-

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