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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 20 (2. Juliheft 1905)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0481

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5chöne Agnete.

Als Lserrn Ulrichs Wittib in der Kirche gekniet,

Da klang vom Rirchhof herüber ein Lied,

Die Grgel droben, die hörte auf zu gehn,

Und die priester und die Knaben, alle blieben stehn,

Ls horchte die Gemeinde, Greis, Rind und Braut,

Die Stimme draußen sang, wie die Nachtigall so laut:

„Liebste Mutter in der Rirche, wo des Meßners Glöcklein klingt,
Liebe Mutter, HLr, wie draußen deine Tochter singt,

Denn ich kann ja nicht zu dir in die Rirche hinein,

Denn ich kann ja nicht mehr knien vor Rlarias Schrein,

Denn ich hab ja verloren die ewige Seligkeit,

Denn ich hab ja den schlammschwarzen wassermann gefreit.
Uleine Rinder spielen mit den Fischen im Sse,

Meine Rinder haben Flossen zwischen Finger und Zeh,

Reine Sonne trocknet ihrer j)erlenkleidchen Saum,

Nkeiner Rinder Augen schließt nicht Tod noch Traum. ..

Liebste Ulutter, ach ich bitte dich,

Liebste lNutter, ach ich bitte dich flehentlich,

Wolle beten mit deinem Ingesind
Für meine grünhaarigen Nixenkind,

lvolle beten zu den kseiligen und zu unsrer lieben Frau
vor jeder Rirche und vor jedem Rreuz in Feld und Au!

Liebste Mutter, ach ich bitte dich sehr,

Alle sieben Iahre einmal dars ich Arme nur hierher,

Sage du dem j)riester nun,

Lr soll weit aus die Rirchentüre tun, —

Daß ich sehen kamr der Rerzen Glanz,

Daß ich sehen kann die güldene Monstranz,

Daß ich sagen kann meinen Rinderlein

lvie so sonnengolden strahlt des Relches Scheinl"

Und die Stimme schwieg. Da hub die Drgel an,

Da ward die Türe weit ausgetan, —

Und das ganze heilige Ljochamt lang

Lin weißes weißes lvasser vor der Rirchentüre sxrang.


G Hermann Linggf
Hermann Lingg, der am s8. Juni
fünfundachtzig Jahre alt gestorben
ist, gehört auch zu den bedeutenderen
deutfchen Dichtern des neunzehnten
Jahrhunderts, die die ihnen gebüh-
rende Würdigung nicht gefunden ha-

ben. Allerdings, seine erste, Geibel
(der ihn „entdeckt" hatte) gewidmete
Gedichtsammlung hat 7 Auflagen er-
lebt, aber die letzte von diesen schon
im Jahre s87l, und alles, was der
Dichter nach ihr geschaffen und her-
ausgegeben, ist ziemlich spurlos vor-

2. Iulihest ls)05
 
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