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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 18 (2. Juniheft 1905)
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Unsere Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0375

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Die „Genovesa" Ludwig Richters zeigt uns die schuldlos ver--
stoßene Pfalzgräfin vor ihrer Felsenhöhle, wie sie mit ihrem Kinde im Schutz
des Waldes und seiner Tiere lebt. Das Bild gilt bekanntlich sür eins der
schönsten Werke des Meisters. Was kindliche Glanbenseinfalt an Lieblichkeit
und schlichter Tiefe in unsern deutschen Wald hineinsinnen mag, läßt sich
wohl auch kaum reiner dargestellt denken. Wie wenig „groß" gesehn in tech-
nisch engem Sinne ist dieser Wald, und doch, aus dem Heer winziger
Blätter, die im Sonnenschein vor den Dämmergründen flimmern, weht der
Hauch unendlicher Weiten und der klare Spiegel des Murmelbaches glänzt
das kühlgrüne Geheimnis der Waldtiefe wieder. Das kindliche Weib aber,
viel mehr Jungfrau noch als Frau, mit ihrem Knaben und den „frommen"
Tieren — ist das nicht in ihrer Art auch eine „heilige Familie?" „Brüder,
überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen!" ruft die Begeisterung
des Dichters aus dem himmlischen Rausche der Freude. Hier ist der Her-
zenseinfalt der Himmelsvater aus den Sternen herniedergestiegen, hier im
Walde Richters wohnt der „liebe Gott", und ein kindlich reiner Geschwister-
friede eint in seinem Schoße Mensch, Tier und Natur. — Wir freuen uns,
unsern Lesern Richters „Genovefa" auch in farbiger Wiedergabe als einen
unserer neuesten Vorzugsdrucke bieten zu können.

Eine eigentümliche Sache ist's um das Bildnis, das Ad. Zimmer-
mann vom neunundzwanzigjährigen Ludwig Richter entworfen. Der erste
Eindruck ist unbedingt: eine Zeichnungsvorlage! Kopfhaar, Ohr, Rock, das
alles ist noch nicht wirklich belebt. Aber, wenn wir näher hinschauen, blickt
aus diesem konventionellen Kerker heraus denn doch ein eigentümliches
Leben, das durch den Gegensatz überrascht, und um so stärker von seiner
„Tatsächlichkeit" überzeugt. Das Auge da träumt, aber es träumt nicht
hinschwärmend, es „faßt" nach Malerweise, es „sieht", während es träumt
— Lei längerem Betrachten meint man unwillkürlich eine Bilderwelt davor
aufguellen zu sehen. Und liegt nicht unter all dem Schleier des Sinnens
im Ausdruck der fest aufeinanderliegenden Lippen, im Ausdruck des ganzen
Gesichts etwas von der altfränkisch liebenswürdigen Besonderheit, die mit
einen Grundzug im Wesen Richters bildet?

Das farbige Blatt, das unsererm heutigen Hefte vorgesetzt ist, zeigt den
„Geizhals" des Schweizers Albert Welti. Wir haben hier das Werk
eines Jüngeren unter den Lebenden. Aber wie unmodern spricht es uns an.
Jst es nicht bezeichnend für die hartnäckige Kraft männlich-kindlicher Herzens-
einfalt in der Tiefe deutschen Volkstums, daß sie noch bis in unsere „reiz-
samen" Tage hinein Erscheinungen zu stellen und zu behaupten vermag, die
anmuten, als kämen sie unmittelbar aus Jahrhunderte älteren Zeiten von ein-



2. Iunihest lZ05

Z25
 
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