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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 14 (2. Aprilheft 1905)
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Grunsky, Karl: Klaviermusik und musikalische Bildung, 2
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Schultze-Naumburg, Paul: Zur Baukunst von heute
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0098

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nnt dem Klavierpart. Wenn uns übermoderne Orchestertechniker vor-
halten, ihre Musik verliere am Klavier viel oder alles, so sind wir
bereit, den Spieß umzudrehen und auch einmal freimütig zu ent-
gegnen: gut, wenn eure Musik aus dem Klavier, das an Melodie,
Harmonie und Rhythmus das Wertvolle nicht ändern kann, trotz dieser
Mittel keinen Eindruck hervorruft, so ist sie eben nur dem Klange
zu lieb geschrieben. Jn einem Zeitalter, dessen Stilgefühl sich gerne
an Redensarten berauscht, dürfen wir an das Verhältnis von Jdee
und Klang erinnern. Wer es stillos schilt, ein Orchesterwerk am Kla-
vier wiederzugeben, der möge zuerst den Nachweis führen, daß sich
Jdee und Klang vollkommen decken. Werke, in denen Jdee und Klang
gänzlich ineinander aufgehen, gibt es viel weniger als man gemein-
hin denkt; das zeigen die Umarbeitungen, Uebertragungen, die von
den Tondichtern selber ausgehen — ein interessantes, wenig beachtetes
Kapitel. Auch bei Bach würde unsere Unterscheidung vielleicht manches
aufklären: es gibt osfenbar Werke, die den Klang des Cembalos oder
Klavichords ausnutzen, und solche, die über diesen Klang in die Zu-
kunft hinausweisen. Mit Recht wird seit Berlioz in der modernen
Orchestermusik die Klangfarbe selbst als Ausdrucksmittel in den
schöpferischen Gedanken hereingezogen. Deshalb braucht sie ja die Ele-
mente von Melodie, Harmonie und Rhythmus nicht aufzuzehren! Ber-
lioz, Liszt und Wagner klingen aus verschiedenen Gründen am Kla-
vier, so daß man in die rechte Stimmung kommt. Die Leser werden's
vielleicht noch ein wenig überdenken wollen, aber wir müssen's, um
zu Ende zu kommen, ohne Umschweif als unsere Ueberzeugung be-
kennen: die Klavier-Ausführung von Werken, die nicht eigentlich für
das Jnstrument erdacht oder bestimmt sind, bedarf so wenig einer
Entschuldigung, daß wir vielmehr froh sein sollten, am Klavier die
Probe aus den echten Gehalt eines Kunstwerks machen zu können;
Melodie, Harmonie und Rhythmus müssen mindestens ebenso interes-
sieren wie die Klangsarbe. Werke, die nur vom Orchester oder Chor
gut klingen, die sonst gar keine Teilnahme erregen, sind der Virtuosen-
musik gleichzuachten, in welcher die äußern Klänge zum gedanken-
losen Musizieren sortreißen. R Grunsky

Vaukunst von keule

Die Wahrheiten, mit denen die moderne Kunstbewegung an-
fing, sind rasch in kleiner Münze unter das Volk gekommen. Mit
dieser kleinen Münze arbeitet nun die Dialektik in Kunstdingen. Und
sie hat mit ihr bereits eine außerordentliche Verwirrung in den Köpsen
angerichtet. Denn jene Wahrheiten vermochten zwar anzuregen, aber
sie vermochten nicht, den Kindern die von den Eltern verlorene Sicher-
heit im ästhetischen Empsinden wiederzugeben. Die Unsicherheit des
Urteils wirkte wieder aus die Formeln zurück, in denen man die
Grundsätze aussprach, und auf die Schlüsse, die man aus ihnen zog.
Da wurden die Wahrheiten selbst hier verbogen und dort gefälscht.

Sv scheint mir's an der Zeit, daß auf diesem Gebiet ein Ratten-
könig von Scheinwahrheiten, Trugschlüssen und Halbheiten entwirrt
werde, gerade damit die Wahrheiten, deren Bruchteile so gemißbraucht

2. Aprilhest 69
 
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