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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 21 (1. Augustheft 1905)
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Hagemann, Carl: Aufgaben des modernen Theaters, 1
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Brandt, Georg: Das Lied und sein Text
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0525

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leistungen heranzieht, ist ein Ausflnß des deutschen Wesens: das auf
der Bühnenkunst beruhende deutsche Theater ist ein Nationaltheater.
Die Aufgabe des modernen deutschen Theaters als unseres National-
theaters ist also: die gesamte Bühnenkunst in den Dienst
der Darstellung von rein menschlichen Künstler-Doku-
menten zu stellen. Der uns diesen Weg wies, war, wie wir
wissen, Richard Wagner. Wie wir ihn beschreiten sollen, davon wird
das nächste Mal zu reden sein. Larl Lsagemann

vas Liecl uncl sein üexl

Es ist eine recht häufige und gewiß sehr Vielen wohlbekannte
Erscheinung, daß ein unbedeutender Text unter einer genialen Kom-
position neues, anderes Leben erhält, — daß er mit ihr emporwächst.
Nicht die Fälle meine ich hierbei, wo man den schlechten Text über
der guten Musik einfach übersieht — auch das kommt ja vor —,
sondern die reichlichen Beispiele dafür, daß ein minderwertiges Ge-
dicht von der Musik wirklich mit emporgehoben wird. Ein Beispiel
statt vieler: Schuberts „An die Musik". Das Gedicht, über dem diese
Töne stehn, ist, für sich, unbedeutend, stellenweise geschmacklos. Aber
es wird ein anderes, größeres mit den Tönen und durch sie. Die
Empfindung darin, vorher etwas gesucht, wird natürlich und lebens-
warm unter dieser lebenswarmen Musik. Freilich, ein aufmerksamer
Beobachter wird auch das Gegenteil nicht selten bemerken: daß ein
Gedicht durch die Komposition, und zwar auch durch eiue musika-
lisch gute, an.Wirkuug einbüßt. Es drängt sich da die Frage auf,
ob solch ein Gedicht nicht besser unkomponiert geblieben wäre, und
weiter, ob nicht überhaupt Bedingungen und Einschränkungen bei
der Wahl der Texte zur Komposition bestehen. Hier soll das kritische
Messer einmal angesetzt werden.

Weit ist die Anschauung verbreitet, die ganze lyrische Poesie
sei Arbeitsgebiet und Stoff des Komponisten, in das er nur beliebig
irgendwo hineinzugreifen brauche. Der Kreis der in Musik gesetzten
Dichtungelc hat sich in neuerer Zeit immer mehr erweitert; er hat
sich auch der Art nach verändert; denn sichtbarlich ist das Streben
deutlicher hervorgetreten, keine untergeordneten Gedichte zu kompo-
niereu, sondern gerade die wertvollsten, vor allem Goethesche. Früher
hatte mar: wohl gelegentlich den Satz bestätigt: Was zu schlecht ist,
um gelesen oder gesprochen zu werden, das wird komponiert. Jetzt
heißt es umgekehrt: das beste Gedicht ist sür die Komposition gerade
gut genug. Auf den ersten Blick erscheint dieser letzte Grundsatz als
augenscheinlich richtig und unanfechtbar, der erstere aber als eine
offenbare Lächerlichkeit. Ein näheres Zusehen soll erweisen, daß
beide gleich Recht oder vielmehr gleich Unrecht haben.

Wir unterscheiden auf dem Gebiet der Malerei sehr wohl zwi-
schen einer Jllustration und einem Gemälde an sich. Es wird keinem
Menschen einfallen, die Doreschen Jllustrationen zur Bibel für selb-
ständige malerische Kunstwerke zu halten und demgemäß einzuschätzen;
sie halten sich eng an den Text, auf den sie sich beziehn; sie „illu-



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