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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 15 (1. Maiheft 1905)
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Schüz, A.: Die Musik zu Schillers Dramen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0171

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Die Mirsik zu Schillers Dramen wird meistens, soweit sie über-
haupt auf der Bühne noch eine Stelle findet, als unwesentlich und
nebensächlich betrachtet. Wer aber nur ein wenig mit unserm Dichter
vertraut ist, der weiß, welch lebhastes, fast eifersüchtiges Jnteresse
der „unmusikalische" Schiller für die Oper zeigte, weil sie das be-
sitzt, was er im dichterischen Drama vermißte: die Musik mit ihrer
von der Last und den Schranken der Wirklichkeit befreienden, wie mit
Zauberschlag die Pforten der Jdealwelt aufschließenden Macht. Es
ist bekannt, wie der Dichter jenem Mangel in der Braut von Messina
abzuhelfen versucht hat durch die Einführung des Chors, der nach dem
Vorbilde der antiken Tragödie „von der ganzen sinnlichen Macht des
Rhythmus und der Musik in Tönen und Bewegungen begleitet" „wie >
mit Schritten der Götter einhergehen" sollte. Aber auch in seinen !
andern Dramen war Schiller bemüht, das musikalische Element auf
irgend eine Weise hereinzuziehen, so z. B. im Tell. Er weiß sehr I
wohl, daß es im schönen Schweizerland nicht bloß fürs Auge Herr- >
liches zu schauen gibt, daß es auch überall singt und klingt, und eine s
Musik zu hören ist bald gewaltig wie Sturmesbrausen und Donner- i
rollen, bald melodisch und berückend „wie Flöten so süß, wie Stimmen !
der Engel im Paradies", und daß zu der Musik in der Natur auch !
der Mensch gern seine Stimme erhebt. Und wie den Gesang, so ver- !
steht er auch die Jnstrumentalmusik anzubringen. Wie gewaltig eine i
dem großen seierlichen Moment entsprechende Musik wirken müßte
nach dem Schwur der Männer auf dem Rütli, hat Schiller richtig
erkannt, und deshalb ausdrücklich vorgeschrieben: „indem die Männer
zu drei verschiedenen Seiten in größter Ruhe abgehen, sällt das Orchester
mit einem prachtvollen Schwung ein. Die leere Szene zeigt das Schau-
spiel der aufgehenden Sonne über den Eisgebirgen". Welch ein wunder-
volles Motiv zu einem charakteristischen Orchesterstück! Und welche
eigentümliche Wirkung muß jene heitere Hochzeitmusik hervorbringen,
welche den Festzug begleitet, als er den Hohlweg heraufzieht, während
Tell nach Geßler den todbringenden Pfeil zu senden sich rüstet, —
und die man noch hört, nachdem der Landvogt schon erschossen am
Boden liegt. Das klingt wie übermütige Freude des befreiten Volkes
über die Tat, während Rudols Harras empört ausruft: „Rast dieses
Volk, daß es dem Mord Musik macht?" Aber der großartige Kontrast
wird noch gesteigert durch den Gesang der barmherzigen Brüder, die
kaum nachdem die Hochzeitmusik verklungen ist, den Toten umstehend,
in tiefem Ton ihm das Grablied singen. Er ist von Beethoven und
andern komponiert worden. Und wie das Schauspiel mit Musik be-
gonnen hat, so endigt es: die Musik vom Berge begleitet das Froh-
locken des Volkes, eine Freiheitsjubelsymphonie soll nach des Dichters
Absicht das Ganze beschließen. Hier haben wir gewiß nicht bloß die
gewöhnliche dekorative Verwendung der Musik, hier haben wir das
eigentliche Melodram. Denken wir uns das Schauspiel noch weiter
melodramatisch so ausgestaltet, dann ist der Schritt zum Musikdrama
Richard Wagners nicht allzu groß mehr. Beide, Schiller von der
Poesie, Wagner von der Musik ausgehend, kommen zusammen in der §

124 Runstwart XVIII, s5
 
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