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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 15 (1. Maiheft 1905)
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Schüz, A.: Die Musik zu Schillers Dramen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0172

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Ueberzeugung, daß im Drama Poesie und Musik sich die Hände reichen
sollten. Auch in den andern Dramen hat ja unser Dichter hin und
wieder die Tonkunst zu Hilfe gerufen, so in den Räubern und im
Wallenstein mit Chorliedern und Gesängen zur Laute und zum Klavier,
und allerlei kriegerischer Jnstrumentalmusik. Und in der Jungfrau
von Orleans wünschten wir einen genialen Tondichter für jene zarte
Musik von Flöten und Oboen, die im festlichen Saale ertönt und
der Jungfrau das Herz weich macht, daß sie vor sich selber erschrickt
und ausruft: „Weh mir, welche Töne! Wie verführen sie mein Ohr!"
Wie Musik Johannas Herz in irdischer Liebe und Sehnsucht zerschmelzen
macht, so macht Musik sie wieder stark, der Soldatenmarsch begeistert
sie, und frei schwingt sich die Seele „auf den Flügeln des Kriegs-
gesangs" aus ihrem Kerker.

Den musikalischen Absichten Schillers sind die Bühnen nicht son-
derlich verständnisvoll entgegengekommen. Die Entsernung der „sinn-
losen" Zwischenspiele, an sich künstlerisch begründet, scheint die Musik
dem Schauspiel auf immer entfremden zu wollen. Die Ouverture wird
ganz abgeschafft und bald wird es Aufführungen des Egmont geben,
denen nicht einmal Beethovens Name die Mitwirkung der Musik rettet.
Unter diesen Umständen ist es den Komponisten nicht zu verargen,
daß sie so wenig Lust haben, ihre Kunst dem Drama zu widmen.
Aber auf welche Wirkungen verzichtet man da ohne Not! Jn Schillers
Dramen sehnt man ja ost die Musik recht eigentlich herbei. Jn der
Jungsrau von Orleans erzählt Johanna ihre Berufung: „alle sind
gerührt; Agnes Sorel, hestig weinend, verbirgt ihr Gesicht an des
Königs Brust" — genügen hier wohl gerührte Gesichter, Geberden
der Rührung, um dem Zuschauer das, was er sieht, zum inneren
Erlebnisse zu machen? Auch Maria Stuart ist voll musikalischer Situa-
tionen. Der dritte Akt könnte mit einem Vorspiel beginnen. Dann
die Szene im Park mit dem Ausblick in die Ferne, wo Maria in
hofsnungsvoller Freude ihre trügerische Freiheit genießt, welches Motiv
zu einem musikalischen Stimmungsbild! Die lyrischen Ergüsse „Eilende
Wolken" usw., ist das nicht schon halb Musik? Und verlangt nicht
der Ansang des sünsten Aktes nach Musik, wenn sie auch der Dichter
selber nicht ausdrücklich vorschreibt? Wenn sich das Theater aus irgend
einem Grunde dem musikalischen Elemente verschließt, so könnten wir
in den Konzertsaal flüchten. Es ist doch seltsam, daß die Komponisten,
denen alle Gebiete der Literatur, bis zur Philosophie herauf, Stosf
zu charakteristischen Tonwerken leihen konnten, die Anregungen Schillers
fast ganz übersehen haben. Oder sollte Schillers Jdealismus den
Heutigen unbequem sein? Wir glauben es nicht. Zwar gibt es eine
„Richtung", welche die Musik ins Naturalistische veräußerlicht; doch
dagegen wird von vielen Seiten angekämpst. Konzertouverturen zu
Schillers Dichtungen, großzügig ersaßt und durchgesührt, könnten der
Tonkunst, die von der Schwesterkunst so manches gelernt hat, neue
Stosse, neue Formen gewinnen helfen. Es wäre eine schöne Frucht
der Schillerseiern, wenn sich unsere bedeutenden Tonkünstler mit
größerer Begierde Schiller näherten! A Schüz

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