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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 20 (2. Juliheft 1905)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Zur poetischen Anschaulichkeit: eine Entgegnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0462

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Wie schreibt da nun in seinem „Mangel an Weit- und Tiefblick"
der Kunstwart?

„Dichterische Anschaulichkeit" heißt es im Leitaufsatz des
ersten Juliheftes vom vorigen Jahre: „besagt nicht deutlich ab-
geschilderte Außen-, sondern lebendig erzeugte Jnnen-
welt", und das wird weiter ausgeführt: „Können wir in dichtender Kunst
ein Gefühl anders als in Verbindung mit Anschaulichkeit übertragen? Wenn
wir unter Anschanung, wie wir schon in dem Aufsatz über »Sehen und
Schauen« betonten, die mit Gesühlen verbundene Erregtheit aller Sinne
verstehen?" Denn, „daß der Rhythmus als Träger der Anschauung
hochwichtig ist, ist diese Tatsache nicht überhaupt ein Beweis für unsere Auf-
fassung der Anschauung als eines Kindes der Ehe zwischen
Gefühl und Gesicht oder Gehör". Darum schreibt auch Anthes
im Januarhefte vorigen Jahres zum Kunsterziehungstage: „Freilich zu dieser
Anschauung des inneren Auges (bei Goethes „Der du von dem Himmel
bist") kommt die des inneren Ohres, Rhythmus und Neim, die auch
ihrerseits wundervoll die geheimen Bewegungen im Unbewußten beleben."
Und Avenarius weist im zweiten Septemberhefte desselben Jahrganges in
seinem Leitaufsatze darauf hin: „Mörikes Phantasie arbeitete mit dem inneren
Gehör so herrlich wie mit dem inneren Gesicht."

Jch denke, das Mißverständnis liegt klar zutage: Berghof weiß gar
nicht, in welchem Sinne der Kunstwart „Schauen" und „Anschaulichkeit"
immer wieder deutet und braucht. Wie kommt's, daß er es nicht weiß?
Nun, er hat eben weder die beiden Leitaufsätze, die sich eigens mit diesem
Thema befassen^ noch den dritten, der diese Frage „praktisch" behandelt, noch
die Aeußerungen Anthes' inbezug darauf seiner Aufmerksamkeit gewürdigt,
obwohl diese Arbeiten nicht etwa auf ein größeres Zeitgebiet des Kunst-
warts sich verteilen, sondern alle in dem einen und in dem nämlichenj
Jahrgange sich finden, mit dem Berghof sich in seinen kritischen Aus-
führungen beschäftigt. Dennoch, trotzdem er den Kunstwart so wenig kennt,
erhebt er ohne Zögern und ohne jede Einschränkung gegen unsere ästhetisch-
kritische Gesamttätigkeit schlechthin den Vorwurf einer Einseitigkeit,
die die Grenzen des Lächerlichen streisen würde! Gewiß, es beeinträchtigt
des öfteren die wünschenswerte Kraft des Hasses und der Verachtung gegen-
über dem Gegner, wenn man ihn richtig kennen zu lernen sucht. Warum
aber Berghof auf der Grundlage unbefangener Unkenntnis ein Blatt so
energisch angreift, dessen, wie er sagt, „unleugbare und nicht geringe
Verdienste" er nicht „schmälern", und dessen Wirken er keineswegs „unter-
binden" möchte — das ist schon schwerer verständlich.

Dann beschäftigt sich Berghof mit meinem Aufsatz über Phantasie-
kunst im Besonderen. Jch suche dort die Grenzen einer „Phantasiekunst"
im eigentlichen, im engeren Sinne zu umschreiben. Die Wertung
„eigentlich" wird dabei, wie wir sehen, sofort durch die Bezeichnung „enger"
eingeschränkt, und beabsichtigt in kcinem Falle alle weitere Phantasie-
kunst als unecht zu bezeichnen. Grade der Umstand vielmehr, daß selbst-
redend alle echte Kunst schließlich mit einem gewissen Rechte als Phan-
tasiekunst ausgegeben werden kann, bestimmte mich zu dem Versuche, Unter-
schiede in dieser gleichlautenden und daher ziemlich gleichgültigen Bezeichnung
höchst verschiedenartiger Erscheinungen aufzustellen. Und zwar bezeichnete
ich die Phantasiekunst als die besondere und eigentliche im engeren Sinne, die

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