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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 14 (2. Aprilheft 1905)
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Avenarius, Ferdinand: Vom Kunst-Studium
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0089

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nur mit „hoher" bildender Kunst befassen will. Doch wer sich als
rechter Gegenwartsmensch mit angewandter Kunst, mit dem Bau-
wesen, dem Kunsthandwerk und der Jndustrie beschäftigt, mit Dorf-
und Städtebau, mit „Heimatschutz" nnd all den andern ästhetischen
Fragen, die heutzutage so viele erregen, dem können recht wichtige
Zusammenhänge erst durch Einblicke in die Geschichte der Volks-
wirtschaft klar werden. Erst sie zeigt, wie überhaupt vieles von
dem geschehen konnte, was wir als erfreuliche oder bedauerliche Tatsache
nun vor uns sehen. Sie macht uns die Augen hell, indem sie die in
der Weltgeschichte beispiellose Umwandlung des praktischen Lebens unter
dem modernen Verkehr, der modernen Technik und der kapitalistischen
Entwicklung klar legt.

Es ist billig zu sagen: „mich interessiert nur die Schönheit,"
wer's ernst nimmt, den muß auch interessieren, was Schönheit tötet
und was sie pflegt, oder er riskiert, daß der Volkswirtschastler seine
innigsten Predigten mit einem höchst nüchternen Rechenexempel unter-
bricht. Wenn großenteils durch Technik und Wirtschaft unsre Wohn-
stätten verhäßlicht, unsre Heimtäler vernüchtert werden, so müssen
wir die innere Macht dieser Gegner erkennen lernen. Erkennen — hier
liegt eine ganz abstrakte, eine rein wissenschastliche Aufgabe.
Aber auch mehr, als erkennen. Eine in Naturwissenschaft, Psycho-
logie und Volkswirtschaft bewanderte Kunstwissenschast allein könnte
ja auch so sruchtbar werden, daß sie endlich die praktische
Aesthetik gebärte. Die praktische Aesthetik, die so gut ein gesundes Kind
der Wissenschaft sein wird, wie die Technik als praktische Chemie und
Physik eins ist. Die Fortschritte des vorigen Jahrhunderts haben
eine Menge von Schönheit umgeworseu, weil sie zu schnell kamen,
als daß wir den ästhetischen Ausdruck für sie sofort erfassen, als
daß wir sie sofort verbinden und eingliedern konnten in das Ganze
der Menschheitsentwicklung. Das ästhetische Verarbeiten jener Er-
rungenschaften eben zu praktischer Aesthetik, jetzt erst beginnt
es ja. Und noch eine zweite gewaltige Aufgabe macht uns Berufsge-
nossen volkswirtschaftliche Kenntnisse höchst erwünscht: das Problem
einer Volkswirtschaft der geistigen Güter dämmert am Morgen
herauf.

Naturwissenschaft, Psychologie, Volkswirtschaft — das Nachdenken
über eine moderne, über eine im Leben stehende und, sei es auch nur
im „Nebenamt" oder in den Konsequenzen, dem Leben auch wieder
dienende Kunstwissenschaft, sührt es nicht zu recht sonderbaren Forde-
rungen? Je nun, von Einzelheiten abgesehen zu solchen, die recht
lebhaft an die Forderungen erinnern, die von ganz andern Stand-
punkten aus jetzt so dringend an eine bessere Allgemeinbildung
erhoben werden. Es sind nicht dieselben, aber es sind Brüder ihres
Geistes, es sind Töchter derselben Eltern. Am Enüe sind wir gar
nicht die Stillsteher oder Rückwärtsler, als die wir gelegentlich ver-
schrieen werden? Wir Realisten, wir meinen: je besser wir den Boden
kennen, je sichrer gewinnen wir gutes Korn daraus, je ernsthafter
wir's mit der Wirklichkeit nehmen, je sicherer wachsen die Bäume
wurzelgesund hinauf ins Reich der Jdee. A



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Runftwart XVIII,
 
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