sondern alle Aufführungen, und fie machte nicht einmal ein Hehl daraus,
daß sie der Anwesenheit der Herren Semper und Knapp nicht den gering-
ften Wert beimefse. Betrübt und traurig schlichen der technische Direktor
und der künstlerische Leiter von dannen.
Aber Asmussen tat sein Freund Diepenbrook ganz unendlich leid.
Und als er allein war, dachte er: Du mußt ihn trösten, du mußt ihm
etwas recht Schönes zum Trost sagen, sodaß er seinen Gram vergißt.
Und da war es ihm plötzlich, als ob man so etwas nur in Versen sagen
könne — ja: nur ein Gedicht konnte in einem so tiefen Kummer trösten.
Und merkwürdig: ganz von selbst fielen ihm Verse ein, ganz schwermütige
Verse, bei denen er selber weinen mußte, und nach einer Stunde hatte er
zwanzig Zeilen gedichtet. Er schrieb sie aus, und den Zettel wollte er Diepen-
brook am andern Morgen nach der Schule heimlich zustecken und dann
wollte er schnell weglausen. Aber, o weh: Diepenbrook war am andern
Tage schon wieder ganz vergnügt, und da schämte sich Asmus, es ihm zu
geben. Er zerriß es in tausend kleine Stückchen und streute sie in den
Wind. Das war Asmus Sempers erstes Gedicht.
Acht Tage später rief der Ordinarius der Klasse, der aussah, wie die
Rechtschaffenheit und die Geometrie in einer Person, den Präparanden Asmus
Semper zu sich.
„Sie sind in die höhere Klasse versetzt", sagte er.
Asmus wurde blaß. „Jch kann aber kein Englisch", stieß er hervor.
„Das schadet nichts. Das holen Sie in vier Wochen nach. Sie sollen
hier Jhre Zeit nicht verlieren. Sie erhalten auch ein Stipendium."
Merkwürdig: auf dem Wege nach Hause begegnete Asmus lauter
schönen Gesichtern. Und als er sich plötzlich in Oldensund sah, mußte er
aufatmend stillstehen und sich umsehen: Wie war er denn nach Oldensund
gekommen? Er war ja gar nicht gegangen! Er hatte ja gar nicht die Erde
berührt! Seine Füße waren aus Gewohnheit nach Hause gelaufen, etwa
wie ein Pferd auch ohne Reiter den Heimweg sindet. ^ein Kopf war hoch
über den Füßen auf einer wogenden, schimmernden Flut geschwommen, und
auf dieser Flut schwammen die Köpfe der ihm begegnenden Menschen wie
Seerosen mit lieben, lachenden Gesichtern, und die nahen sahen aus, als ob
sie fern, ganz sern wären, und die fernen, als wären sie zum Greifen nah.
„Jch bin in die höhere Klasse versetzt und ich kriege ein Stipen-
dium!" hallte es durch das Haus der Semper, und dahinter erschien Asmus.
Frau Rebekka mußte es dreimal hören, ehe sie's begreifen und glauben
konnte.
Ludwig aber sah seinen Sohn an, als wenn er ihn heute erst kennen
lerne. Dann legte er ihm nach alter Gewohnheit die Hand auf den Kopf
und rieb diesen Kops in so langer und heftiger Freude, daß Asmus alle
Haare wehtaten; aber er gab keinen Mucks von sich; er rührte keine Wimper,
und ein Schauer rieselte ihm den Rücken hinunter. Sie waren in diesem
Augenblick ein Mensch, Vater und Sohn, und blickten gemeinsam in ein
neues Land. Dann aber warf Ludwig Semper plötzlich die Arme nach beiden
Seiten, wie es keiner je von ihm gesehen, und rief: „Es geht wiedev
aufwärts mit den Sempern, es geht wieder auswärts."
2. Axrilheft lZOö 89
daß sie der Anwesenheit der Herren Semper und Knapp nicht den gering-
ften Wert beimefse. Betrübt und traurig schlichen der technische Direktor
und der künstlerische Leiter von dannen.
Aber Asmussen tat sein Freund Diepenbrook ganz unendlich leid.
Und als er allein war, dachte er: Du mußt ihn trösten, du mußt ihm
etwas recht Schönes zum Trost sagen, sodaß er seinen Gram vergißt.
Und da war es ihm plötzlich, als ob man so etwas nur in Versen sagen
könne — ja: nur ein Gedicht konnte in einem so tiefen Kummer trösten.
Und merkwürdig: ganz von selbst fielen ihm Verse ein, ganz schwermütige
Verse, bei denen er selber weinen mußte, und nach einer Stunde hatte er
zwanzig Zeilen gedichtet. Er schrieb sie aus, und den Zettel wollte er Diepen-
brook am andern Morgen nach der Schule heimlich zustecken und dann
wollte er schnell weglausen. Aber, o weh: Diepenbrook war am andern
Tage schon wieder ganz vergnügt, und da schämte sich Asmus, es ihm zu
geben. Er zerriß es in tausend kleine Stückchen und streute sie in den
Wind. Das war Asmus Sempers erstes Gedicht.
Acht Tage später rief der Ordinarius der Klasse, der aussah, wie die
Rechtschaffenheit und die Geometrie in einer Person, den Präparanden Asmus
Semper zu sich.
„Sie sind in die höhere Klasse versetzt", sagte er.
Asmus wurde blaß. „Jch kann aber kein Englisch", stieß er hervor.
„Das schadet nichts. Das holen Sie in vier Wochen nach. Sie sollen
hier Jhre Zeit nicht verlieren. Sie erhalten auch ein Stipendium."
Merkwürdig: auf dem Wege nach Hause begegnete Asmus lauter
schönen Gesichtern. Und als er sich plötzlich in Oldensund sah, mußte er
aufatmend stillstehen und sich umsehen: Wie war er denn nach Oldensund
gekommen? Er war ja gar nicht gegangen! Er hatte ja gar nicht die Erde
berührt! Seine Füße waren aus Gewohnheit nach Hause gelaufen, etwa
wie ein Pferd auch ohne Reiter den Heimweg sindet. ^ein Kopf war hoch
über den Füßen auf einer wogenden, schimmernden Flut geschwommen, und
auf dieser Flut schwammen die Köpfe der ihm begegnenden Menschen wie
Seerosen mit lieben, lachenden Gesichtern, und die nahen sahen aus, als ob
sie fern, ganz sern wären, und die fernen, als wären sie zum Greifen nah.
„Jch bin in die höhere Klasse versetzt und ich kriege ein Stipen-
dium!" hallte es durch das Haus der Semper, und dahinter erschien Asmus.
Frau Rebekka mußte es dreimal hören, ehe sie's begreifen und glauben
konnte.
Ludwig aber sah seinen Sohn an, als wenn er ihn heute erst kennen
lerne. Dann legte er ihm nach alter Gewohnheit die Hand auf den Kopf
und rieb diesen Kops in so langer und heftiger Freude, daß Asmus alle
Haare wehtaten; aber er gab keinen Mucks von sich; er rührte keine Wimper,
und ein Schauer rieselte ihm den Rücken hinunter. Sie waren in diesem
Augenblick ein Mensch, Vater und Sohn, und blickten gemeinsam in ein
neues Land. Dann aber warf Ludwig Semper plötzlich die Arme nach beiden
Seiten, wie es keiner je von ihm gesehen, und rief: „Es geht wiedev
aufwärts mit den Sempern, es geht wieder auswärts."
2. Axrilheft lZOö 89