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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1905)
DOI Artikel:
Kühnemann, Eugen: Zum 9. Mai 1905
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0151

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Zug. Obschon in seinem Lebenswerk wie in dem jedes reifen Mannes
eine edle Resignation unverkennbar ist, so kannte er doch nicht das
Ermüden der Seele, nicht die Besriedigung aus einmal angenommenen
Bahnen. Er hatte Bescheidung gelernt, aber nur, um mit unerschütter-
lichem Mut und ungebrochener Kraft sich einzusetzen für erreichbare
Ziele und sich abzukehren von müßigen Schwärmereien.

Seine ganze Entwicklung ist nichts anderes als die Selbst-
erziehung von jugendlicher Phantastik zu gediegener reifer Mannes-
arbeit. Die Dramen seiner Jugend sind der stärkste Ausdruck des
ewigen Menschheitstraumes von der besseren Zukunst, die einmal
kommen muß. Sie sind gewaltig durch die Kraft des Verantwortlich-
keitsgefühls für alles menschliche Leben. Die Menschheit der Liebe
und Gerechtigkeit sucht Karl Moor, als die Opfer der sozialen Un-
geheuerlichkeiten der Zeit sterben Ferdinand und Luise, und aus ihrem
Schicksal klingt der Schrei nach einfach natürlicher Menschlichkeit. Es
war eine innere Notwendigkeit, daß Schiller von Anklage und Auf-
lehnung fortschritt zur Forderung und zum Evangelium. Groß wie
nirgends klingt das Lied von der zukünftigen Freiheit aus dem Don
Carlos. Niemals oder nur mit der Verkümmerung und Erstarrung
der „letzten Menschen" können diese Träume in der Seele der Menschen
sterben. Solange es aufstrebende Kräfte in der Jugend und in den
Völkern gibt, werden sie sich an Schillers gewaltiger Bußpredigt und
Prophetie begeistern.

Aber er selber ging bald über diese Jugendlichkeiten hinaus. Er
wollte nicht ein Schwärmer sein, der die Wirklichkeit am Maß des Voll-
kommenen mißt und sich je nachdem berauscht oder verbittert. Sondern
er wollte an seinem Teil den besseren Menschen wirkkich hervorbringen
und schaffen helfen und zwar zunächst in sich selber. Er wsndet das
Verantwortlichkeitsgefühl auf sein eigenes Dasein an. Mit einer erstaun-
lichen Energie verlangte er von sich zuerst das Vollkommene. Jn
heißer Arbeit jahrelanger Studien bildete er M sich die Menschheit
aus. Es gelang ihm, das eigene beste und reinste Wesen in seiner
Lebensanschauung herauszustellen. Jn seinen philosophischen Schriften
und Gedichten überträgt er aus die Deutschen seine große Weise, das
Leben in freiem, vornehmem und genialem Geiste zu führen.

Was er gegen Kants strenge Pflichtenlehre einwendet, ist nur
ein Ausdruck seines stürkeren und helleren Persönlichkeitsbewußtseins.
Eine Persönlichkeit fein heißt: mit freier Selbstverständlichkeit das
Leben gestalten im Dienste eines angeborenen Berufes. Schiller fühlt,
so sehr die Widerstände wachsen und der kranke Leib ihn niederzieht,
die Arbeit im Dienste seiner Lebensaufgabe als den einzigen Quell
seiner wahreu Freude. Glück und Pflicht sind ihm eins. Er hat in
der ernsten Arbeit des Schaffens den vollen Genuß seiner Menschheit;
er genießt sie im Spiel seiner gestaltenden Kräfte, weil er aus
eigenen Tiefen schöpft. So mahnt er uns alle, im Lebensdienste
ganze Menschen zu bleiben, freie schöpferische Persönlichkeiten, Künstler
des eigenen Daseins. Es ist ihm der strengste Ernst um die Forde-
rungen der Wissenschaft und der Sittlichkeit. Er duldet keine fanften
Stimmungsdichtungen in der Erkenntnis, wie etwa Herder sie gibt.
Er betont den vollen unnachläßlichen Anspruch der Pflicht. Aber wir

; t - Runstwart XVIII, sö
 
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