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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 15 (1. Maiheft 1905)
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Gregori, Ferdinand: Schiller und die Bühne von heute
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0167

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Stuart", „Jungfrau von Orleaus", „Wallensteins Tod", „Tell". Also
teilte man diefe Stücke aus. Ob nun gerade in dem Winter eine Dar-
stellerin der Maria Stuart und der Jungfrau, ein Mann für Tell
und Wallenstein da war, kümmerte den Jnhaber des Kunstinstituts
wenig. Ja, als ich einmal „Macbeth" zur Aufführung anriet und
dazu empfahl, eine Lady da oder dort auszuborgen, scheiterte mein
Plan nicht an dieser Personalschwierigkeit (denn unsre eigene niedliche
Salondame mußte die Lady spielen), sondern beinahe an den Baum-
ästen aus dem Birnamswald, die Geld kosteten. Eine Ausgabe sür
Requisiten machte dem Direktor Unruhe.

Welche Hindernisse legen sich überhaupt der Aufführung in den
Weg? Nicht das schlechte Schauspielermaterial, nicht das Unvermögen
des Regisseurs, sondern ganz nebensächliche Ausstattungsmomente. Jn
der „Jungfrau" hapert's dann und wann am Krönungszuge, in
„Wallensteins Tod" an den Rüstungen für die Statistenkürassiere.
Seitdem dre Meininger über die deutschen Bühnen gezogen sind, wett-
eifert ja der armseligste Provinzdirektor mit ihnen. Er will über
seine Verhältnisse leben, und doch soll nicht viel draufgehen. Anstatt
mit seinen acht Choristen ein kleines, aber lebendiges „Volk" zu in-
szemeren, holt er sich zwanzig Soldaten aus der Kaserne, die eine töd-
liche Langeweile verbreiten. Er kann sie weder gut anziehen noch ab-
richten. Sie fehlen auf der Probe, weil sie früh Exerzier- und Feld-
dienst haben, und werden abends aus der Kulisse geschickt, ohne zu
erfahren, was sie tun und anhören, und wann und wo sie wieder
abgehen müssen. Jeder von uns hat das mit Schaudern erlebt.

Jst dieser Schwindel nötig? Verlangt überhaupt das Publikum,
wie der Direktor gern betont, das „Massenaufgebot" und „etwas fürs
Auge": einen prunkvollen Krönungszug vor der Rheimser Kathedrale?
Mit nichten' Aufgabe des Theaters ist es, innerhalb der relativen
Möglichkeiten zu bleiben. Das Burgtheater, das mit einer Einnahme
von mehr als 6000 Kronen für den Abend rechnet und obendrein eine
halbe Million Kronen jährlichen Zuschuß bekommt, tut dies, wenn es
q>0 000 Kronen für den „Fiesko" aufwendet; im kleinen Tilsit dürfen
für das gleiche Stück vielleicht 200 Mark ausgegeben werden. Ge-
schieht das aber mit Geschick, und werden die ärmlichen Kulissen durch
das Feuer der Darstellung außer Betrachtung gesetzt, so ist die Hörer-
schaft nicht tninder entzückt als in Wien.

Jch verrate eine Beobachtung, die sich mir im Lause von drei-
zehn Jahren aufgedrängt hat: die Begeisterung des Publikums nimmt
mit dem Anwachsen der Ausstattung a b. Es begeistert sich ja nie
an den Dekorationen und den Gewändern, sondern an den großen
Empfindungen Schillers. Wird aber sein Auge durch äußere Dinge
abgelenkt — ob auch in angenehmer Weise —, so zerteilt sich eben
das Jnteresse, und für die Rede bleibt nicht mehr die ganze Spann-
kraft der Jllusion übrig. Der Direktor glaubt es dem Publikum
leicht zu machen, wenn er neben dem Ohre das Auge beschäftigt,
er will die Phantasie des Hörers ausschalten und vergißt doch, daß
er damit den Reiz des Genusses schmälert. Jeder Genießende sreut
sich erst dann eines Kunstwerkes recht, wenn er aus Eigenem etwas
beiträgt, wenn er selbst eine Schönheit entdeckt. Das einzige Mittel,



^ZO

Runstvxlrt XVIII,
 
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