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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 15 (1. Maiheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0223

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als Zeugen dafür angeführt, daß
der Militärstand der erste sei, im
Vorwort zu feiner Kulturgeschichte
spricht Hellwald „mit Schiller": „Und
kein Rock hat mir unter allen Wie
mein eisernes Wams gefallen."

„Mit Schiller"? Jst denn Schil-
ler der Kürassier, den er schildert?
Jst er irgend eine der Gestalten,
die er sprechen läßt? Als ob sich
aus den Reden der Charaktere in
einem einzigen guten Drama nicht
genau so treffend für und wider den
Dichter, oder die Partei, für und
wider die Moral zitieren ließe! Wir
sollten doch eigentlich über die un-
freiwillige Komik solcher Anektierlüste
hinaus sein, wenigstens, wo wir zur
Oeffentlichkeit reden wollen. Wer
kann wissen, welcher Partei Schiller
angehören würde, wenn er die
heutige Welt kennen lernte!

Nach solchen Verkehrtheiten wirken
allerhand drollige Entgleisungen zum
jetzigen Feste wesentlich harmloser.
So der Versuch eines Provinzwochen-
blattes, „Die Räuber" frei nach Schil-
ler als Lesestoff für seine Leute
zu verarbeiten. Man höre die Be-
schreibung der Gebrüder Moor: „Wie
ungerecht hatte aber auch die liebe
Natur ihre Gaben bei diesen beiden
Knaben verteilt; während schon als
Knabe Karl durch Schönheit des
Körpers und Geistes, ganz das Eben-
bild seiner verstorbenen Mutter, sich
auszeichnete, war dies bei Franz das
Gegenteil, geradezu häßlich hätte man
ihn nennen können. Kein Wunder
darum" u. s. w. Die Räuber als

Hintertreppenroman — seine aus-
giebige Verbreitung wäre sehr mög-
lich, und der Verleger würde ge-
wiß noch beanspruchen, als Volks-
erzieher zu gelten. Unübertrefflich
ist das Festprogramm einer süd-
deutschen Schillerfeier: „Lebende Bil-
der: klassische Marmorgrup-
pen aus Wilhelm Tell." Auch
die Schiller-Würste erfreuen des
Heiteren Herz, die eine schwäbische
Gemeinde an die Schulkinder statt
der Schillerschen Gedichte zu ver-
teilen beschloß, die vorgeschlagen
waren. Und wenn uns mißbilligend
Programme geschickt werden, auf
denen nach der Schillerfeier Tanz und
Abendessen verheißen wird, so wun-
dert uns das als Sympton einer
Stimmung, die wir nicht verstehen
können. Warum denn nicht, nach
der Feier? Dann besagt es immer-
hin noch nicht, daß „dies Geschlecht
kann sich nicht anders freuen als bei
Tisch" — den Tag als Trauerfest
begehen zu sollen, das wird doch wirk-
lich das schlichte Gefühl als künstlich
empfinden müssen.

Schließlich sei noch ein Kuriosum
aus nächster Nähe mitleidlos ans
Licht gerückt: unsere Proben aus
Schillers Briefen in diesem Hefte sind
teils in alter, teils in neuerer Ortho-
graphie zu lesen. Sollte hier ein
Versehen Schillers vorliegen oder
sollten etwa wir selber genaue An-
weisungen an die Setzer vergessen
uud den Schaden zu spät bemerkt
haben?

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Uunstwart XVIII, sü
 
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