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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1905)
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Kalkschmidt, Eugen: Von allerhand Festlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0234

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dabei sozusagen reglementmäßig vorexerziert, wir stehen dabei und !,
recken die Hälse. Jch denke da aus eignem Miterleben an eine sehr !
große Gelegenheit zu einmütiger festlicher Teilnahme des Volkes, soweit
es durch Berlin repräsentiert ward. Was hätte die Enthüllung des
Bismarckdenkmals den Berlinern und ihren Gästen sür einen Festtag
gewähren können? Und was ward daraus? Abgesperrte Straßen; der
berühmte energische „Polizeikordon" trat in Wirksamkeit, alles, was das
Recht auf eine Uniform hatte, zog sie an und karriolte oder stelzte in
den reservierteu Kreis der Feier, alles andere aber blieb draußen '
und „mokierte sich". Dann kam das Lesen der Leitartikel, ach, der
Leitartikel in den Zeitungen, und schließlich saß alles wieder ein-
trächtig auf der Bierbank und schimpfte, kalauerte oder — spielte Skat.

Ein anderes Bild. Wer kennt sie nicht, unsere Schützenfeste?
Jn den kleinen Nestern ganz Mitteldeutschlands bilden recht eigentlich
sie den Glanz- und Gipfelpunkt der Volkssestlichkeiten im Jahr. Jst
auch ihre einstmals national-politische Bedeutung gleich jener der
Sänger- und Turnfeste stark verblaßt — eine Art Wertmesser für die
Triebkraft unserer nationalen Festlichkeit bilden sie immer noch. Und
was ist das nun für ein Druck, unter dem das Quecksilber völkischer
Lebensfreude, völkischen Humores in die Höhe steigt? Und in was
für eine Höhe steigt es da? Auf mehr als einem der großen, ja
größten dieser Volk'sfeste habe ich die melancholische Erfahrung machen
müssen: unter dem Hochdruck der Langenweile steigt die Feststimmung !
ungefähr so künstlich wie das Thermometer in dcr warmen Hand,
ohne doch dabei den geistigen, den Nullpunkt der Phantasie wesentlich
zu überschreiten. Man kommt nicht mehr auf die Festwiese, um lustig
zu sein, sondern um belustigt zu werden, und ist in solcher Passivität !
für den albernsten Klimbim nicht bloß empfänglich sondern noch dank-
bar obendrein. Trotz der zweckvollen Etikettierung und Aufmachung
eines solchen Festes sehlt es ihm an jedem geistigen Mittelpunk't, von ?
dem aus auch der bescheidenste Teilnehmer zur aktiven Teilnahme,
zur Gemeinsamkeit herangezogen werden könnte. Wer will, kann ja
im ernsthaften Wett- und Preisschießen der „Bogenschützengesellschasten"
einen solchen Mittelpunkt sehen, ich kann's nicht: die Schießerei spielt
sich in den engen Kreisen der Mitglieder ab, und die Hunderttausende
der Besucher kümmern sich um andere Dinge. Als da sind: Karussells
und Lustschaukel, Variöts und Panoptikum, unzühlige Glückshäsen mit
all dem unglückseligsten Schund der „Luxuswaren^-Fabrik'en, Schlachten-
und Mordbilder, Menagerie, Hippodrom und Tanzsalons; zwischen
alledem verstreut Buden und Büdchen der Genuß- und Nahrungs-
mittelbranche. Aber was für Nahrung, was für Genüsse — was
für Gerüche schon allein!

Ganz gewiß: es gibt diesen Volksbelustigungen gegenüber auch
einen anderen Standpunkt als den des Zetermordios über die hohe
Blüte des allhier gezüchteten Stumpfsinns. Dieser ist ein Gewächs,
dessen unfreiwillige Komik', hat man Augen und Sinne für sie, so
befreiend wirken kann fast wie der gesuchte Humor der schier ver-
wunschenen Volksfestphantasie selber. Fast wie der Humor? Nein — !
diese Befreiung, so ästhetisch sie gewonnen wird, erhebt sich doch auf ?
einem anderen Gipfel ästhetischen Empfindens, als der ist, der sich

192 Runstwart XVIII, s6
 
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