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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1905)
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Halm, August Otto: Bruckner als Melodiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0292

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folgt fast unvermittelt der ruhige Abfchluß in ^.8-änr, mit harmonisch voll-
wertiger Kadenz. Die abschließende Wirkung der letzteren wird noch ver-
stärkt durch die Rhythmik des vorhergehenden Taktes (7), die zu der des
entsprechenden Takts 3 gegensätzlich ist und mehr nach Ruhe zu-verlangen
scheint. Um so bewunderungswürdiger ist der Anschluß der folgenden Periode,
die eben doch nicht als angehängt, sondern als aus dem vorigen heraus-
gewachsen erscheint, der notwendige, nicht zu hemmende Ausdrnck eines
Gefühlslebens, das zn verschließen vergebliche Mühe war; die Bescheidung
im Kurzen und Engeren, die ruhige Fassung hält nicht vor.

Es versteht sich, daß zu dem Eindruck eines natürlichen Anschlusses
das musikalische Bedürfnis und eine Gestaltung des Anschlusses erforder-
lich ist. Als mnsikalisches Bedürfnis könnte man das der Wiederherstellung
der Haupttonart anführen: aber es wäre ja auch hier wieder eine Zäsur
musikalisch möglich, ein freier Einsatz ohne unmittelbar tonartliche Ver-
bindung wie im 5. Takt. Gerade der Anschluß aber geschieht durch die Wieder-
ausnahme des den letzten Abschluß bildenden ^.8-äur, mittels der Dominante,
der dann ^.8-moll solgt. Dies ist der erste große Unterschied zwischen dem
Verhältnis des 8. zum 9- und dem des H. znm 5. Takt. Von Bedeutsung
ist dabei die Generalpause auf dem ersten Viertel des 9- Taktes. Nnr
äußerlich verlängert sie die Trennung, sie vermindert diese gerade in der
Wirkung; der Anfang aus dem unbetonten Taktteil läßt das Gefühl eines ganz
nenen Abschnitts nicht zu, nach der vorhergehenden Rhythmik der Begleitung!
Damit stimmt die Führung der Hauptmelodie überein, die wirklich auftaktig,
ohne Betonung anhebt, im Gegensatz zu der verschobenen Betonung der
Synkope des ersten und zweiten Anfangs. Es ist uns nicht, als ob die

Empfindnng unterbrochen wäre, sondern mehr, als ob nach tieferem Atem-
holen ihr Ausdruck erst recht entströmen könne. Wie schön ist das im vorigen
motiviert durch ihre Steigerung einerseits und durch den Versuch, sie zu
beherrschen! Auch die Begleitung steigert mit: während sie die erste vier-

taktige Periode deutlich in zwei Hälften teilt, hält sie die zweite ebenso

dentlich zusammen. Nach der Wiederaufnahme der Bewegung in dem be-
sprochenen 9. Takt geht sie ihren ununterbrochenen Gang bis zu dem Haupt-
abschnitt Takt s6. Die Melodie strebt vom sO. Takte an energisch auf-

wärts; nach mehrfachen Modulationen hält sie mit Halbschluß auf der
Dominante von ^8 und die letzte Periode setzt mit 1^8 ein. Diese natürlichste
Akkordfolge in Verbindung mit dem vollen und sicheren Einsatz auf dem
ersten Viertel, mit der langsameren und mehr gleichmäßigen Bewegung macht
den Eindruck wenigstens vorübergehend gewonnener Ruhe und Herrschaft
nicht über das Gefühl, aber doch über dessen Aeußerung. Harmonisch und
musikalisch ist der Abschluß vollkommen: es könnte ein neues Motiv, eine
neue Gruppe erscheinen. Der Gefühlsinhalt des Hauptgedankens ist aber
noch nicht genügend erschöpft; seine Wiederaufnahme gründet sich auf eine
psychologische Möglichkeit und auf ein ästhetisches Bedürfnis der Form.
Scheint nämlich auch innerlich die Ruhe und Fassung gewonnen, so ist doch
die Wehmut in der ganzen Stelle, die zunehmende Weichheit der Stimmung
bei der Ausbiegung nach ^-änr ein Mangel an Festigkeit, der zwar einen
erneuten Angrifs nicht herausfordert, aber doch einem solchen Raum gibt.
Dieser Angriff erfolgt denn auch in jähem Wechseln und Kämpfen der
Stimmungen, das sich in die eine Htaktige Periode zusammendrängt
(Takt s7—20). Betrachten wir den ganzen zweiten Hauptteil (Takt s7—32),

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