Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1905)
DOI Artikel:
Aram, Kurt: Willensfreiheit und modernes Drama: persönliche Meinungen und vergessene Selbstverständlichkeiten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0336

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Lyriker mag ohne selbständige Jntelligenz auskommen,* ein Dramatiker
so wenig wie ein großer Baumeister. Sie sind unter den Künstlern
die, denen eine solche Jntelligenz außer allem andern, das sonst den
Künstler macht, nicht fehlen dars. Sie sind auch die einzigen, denen
der Jntellekt in ihrer Kunst immer wieder böse Streiche spielt. Die
Rückseite der Medaille. Wir brauchen nur an Hebbel zu denken. Welche
Rolle spielt in seiner Kunst der Jntellekt, welche Streiche spielt er ihr!
Und um auf den Anfang und die Hauptsache in diesem Zusammenhang
zurückzukommen: ohne Hegel ist Hebbel nicht Hebbel. Man denke an
Hegels Lehre vom Staat und an Hebbels „Agnes Bernauer", ein
meines Erachtens zu Unrecht unterschätztes Drama. Oder man er-
innere sich an Schiller und seine Stellung zu Kant. Ohne sie ist
für mich das reisste deutsche Drama, Wallensteins Tod, nicht denkbar.
Man sieht hier auch, daß ich nicht so unsinnig bin zu glauben, ein
Dramatiker solle eine philosophische Jdee oder gar ein philosophisches
System dramatisieren. Wohl aber erachte ich es für einen Vorteil,
gar sür eine Notwendigkeit, daß in jedem Dramatiker, der nicht nur
für den Tag lebt, ein solches System, solche Jdeen Fleisch und Blut
werden. Selbst Shakespere wäre ohne die philosophischen Jdeen der
Renaissance etwas ganz anderes, und gewiß nicht größer um deswillen.

Hiermit hängt es zusammen, daß jeder Dramatiker von Bedeutung
auch Ethiker ist. So wenig es eine Philosophie ohne Ethik gibt, so wenig
einen Dramatiker ohne sie. Selbstverständlich denke ich dabei nicht an
irgeudwelche Normalmoral, sondern an eine philosophische Ethik.
Unsere Zeit hat eigentlich nur einen Dramatiker hervorgebracht, dessen
Lebensarbeit man jetzt schon Dauer und längeren Wert zusprechen kann.
Liegt das etwa an seiner glänzenden Technik? Die hat er zum guten
Teil von den Franzosen gelernt. Oder etwa in erster Linie an seinen
Stofsen? Die hat er meist aus unserer Zeit genommen wie andre
auch. Sie sind an sich nicht schlechter und uicht besser als die Stoffe
der meisten modernen Dramatiker. Mir scheint vielmehr, seine Dauer
— ich sehe, wie man wohl schon gemerkt hat, absichtlich von einem
Abwägen rein artistischer Vorzüge ab — liegt nicht zum wenigsten in
seiner Ethik begründet. Jch meine natürlich Jbsen. Er ist der
Ethiker unter den zeitgenössischen Dramatikern, und schon deshalb der
Dramatiker unter ihnen. Ziehen wir zum Vergleich Hauptmann
heran. Jch wäge hier, wie gesagt, nicht artistische Werte! Hauptmanns
„Weber" sind nach allgemeiner Ansicht, der ich mich in diesem Falle
anschließe, sein lebensvollstes Werk. Hat es so viele, rein artistische Vor-
züge vor andern seiner Werke? Jch sinde dieselben in sast allen. Es ist
etwas anderes, was die „Weber" jung erhält, des Dichters Mitgefühl
mit diesen Geschöpfen, das bei ihm auch sonst herrscht, aber hier be-
sonders stark hervortritt. Dies Mitleid ist nun ein allgemein mensch-
liches, in der dichtenden Generation, der'Hauptmann angehört? auch
sonst weit verbreitetes ethisches Gefühl. Aber wrro es so laut wie
iu den „Webern", so reicht es doch aus, einem Werk längeres Leben

* Damit soll natürlich nicht etwa eine Geringschätzung des reinen
Lyrikers angedeutet, soll nur betont sein, daß seine Kunst sich reiner in
Phantasie- und Empfindungsleben abgrenzen kann.



286

Runstwart XVIII, s8
 
Annotationen