Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1905)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0356

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
zwei auf diese Weise zum Paare verbunden wurden; die Musik blies zum
Tanzeu auf. Nach langer Entsagung war Hieseb wieder so weit, ein Mäd--
chen auf den Tanzboden zu führen.

Der Abend begann die Waldwiese in sachte Dunkelheit zu hüllen. Es
wurde kühler. An der Estrade der Blechmusik waren zwei lodernde Pech-
fackeln aufgesteckt, die scheuchten die Finsternis in die Gebüsche und Baum-
kronen zurück. Und die Paare drehten sich und drückten sich, und vergaßen,
daß es kühl wurde. Jn einer Pause zog Hieseb seine Tänzerin aus dem
Gewühl ins Freie und sie gelangten, sich immer noch sachte an der Hand
haltend, hinter den Heidestein, wo das Wäldchen sich lichtete und einen
Durchblick über das westliche Ende der Jnsel hinweg nach der soeben unter-
gehenden Sonne gewährte. Das junge Laub, das in der vergangenen Woche
erst entsprossen und nun purpurn durchschienen war, glühte in seiner Zart-
heit auf, wie eine eben erst geküßte Mädchenwange.

Hans kehrte sich Ursula zu. Sie starrte mitten in die Glut, dennoch
bleich sogar in der brennenden Röte. „Bist müd'?" fragte er besorgt. Sie
lächelte mühsam. Nein, Müdigkeit war es nicht. Es war das Uebermaß
der Aufregung: die Freude am Tanzen, und das Bewußtsein, mit wem sie
zusammen war. Denn sie kannte ihn vom Sehen schon lange, länger als
irgend jemand im Dorf, erst nur von weitem, dann im flüchtigen Begegnen
mehr aus der Nähe am Brunnen oder sonstwo. Die andern Mädchen hatten
ihn dann wohl angesprochen und es mit kurzen Neckrufen versucht, er blieb
ernst und unzugänglich ohne je ein anderes Wort, als den kargen Gruß.
Und nun — heute, als er mit den Vornehmen von Neuenach, dem Pfarrer,
dem Doktor, dem Friedensrichter in einem und demselben Schiff herüber-
gefahren kam, als er mit dem Spittelschreiber der Allee entlang strich
hinter ihnen her, genau wie ein anderer Bursch auch, als er dann gar dem
dicken Fägschmied standhielt und ihn bei einem Haar uoch den Meister ge-
zeigt hätte!

Jn Hieseb stieg eine Ahnung auf, aber nur eine unklare; er fürchtete,
das Mädchen fühle sich nicht wohl bei einem wie er. „Willst nicht mehr
mit mir tanzen?" fragte er hastig. „Wohl freilich," meinte sie, aber sie
sagte es mit g'eschlossenen Augen und tonlos. „Sonst sag's nur, wenn du
mit einem andern lieber magst." — Ursula wehrte mit einer leisen Kopf-
bewegung ab. „Hab' lang' nicht getanzt," fuhr er fort. „Bin auch wohl
steif, weil mich der Schiffleinwirt so jäh gestreckt hat, 's zweite Mal, der
kann's." — „Du mein' ich auch." — „Hm, 's passiert. Mögen hab' ich ihn
nicht." — „Er hat dir doch nicht weh gemacht?" — „Nicht präzis. Jch hab'
es noch im Kreuz, vom Stemmen. Er ist ein gar schauderhafter Bitz."
Ursula mußte lachen. Hieseb freute sich darüber und bestätigte fragend:
„Oder etwa nicht?" Der Bann war gebrochen. Er hätte nun gern näheres
von ihr gewußt. „Kommt ihr hiezulaud manchmal zum Tanzen?" son-
dierte er. „Ja, schon. Jch bin aber an Dreikönigen und an Fastnacht nicht
gewesen. Jch war im Leid." — „So. Jst dir wer gestorben?" — Er sragte
ahnungslos. — „Der — meiu —" Sie stockte und sah zur Seite. Die
Sonne berührte mit dem Rande den Horizont und konnte eben noch den
vollen Schattenriß von Ursulas Prosil auf die graue, jetzt aber überglühte
Fläche des Riesenfindlings wersen, vor dem sie standen. Deutlich war ein
schwarzes Halbmöndchen auf den brennenden Grund gezeichnet.

Hans Hieseb kannte die Ursel wohl vom Ansehen, sie hatte ihm schon

! 306 Ruustwart XVIII, l8
 
Annotationen