von neuem. Es ist sicherlich ein Zufall, daß uns gerade seine Rätsel-
sammlung erhalten ist. Aber einer von den Zufällen, die etwas Not-
wendiges und Typisches an sich haben. Jn unserm Falle sowohl für
die Person des Lionardo, als sür die Stellung der Renaissance in der
Gesamtentwicklung, als für das anbrechende wissenschastliche Zeitalter.
Man kann vielleicht sagen — und das Buch der Marie Herzfeld
scheint es wider Willen zu bestätigen, daß Lionardo einer der ersten ist,
der bereits vom Todeshauch der eigentlichen Renaissance getrosten wird.
Obwohl der immer noch steigenden Kunstentfaltung die stärksten An-
regungen gebend, wird er persönlich als Künstler vom wissenschastlichen
Geist überrascht und zerrieben. Das Buch gibt ergreifende Beispiele von
der Leidenschast, mit der er sich auf die Erkenntnis aller möglichen Dinge
wirst, die mit seiner Künstlerschast nichts zu tun haben und die er auch
nicht künstlerisch bewältigt. Allerdings bei ihm ist noch alles lebendig
und um des Lebens willen da. Doch ist er in der Art, wie ihn schließ-
lich die Erkenntnis der Dinge mehr interessiert als die Gestaltung, wie
eine Prophetie aus das allgemeine Sterben der Kunst, das nicht zu lange
nach ihm begann und dann über Europa hinging. Genauer gesprochen
ist das Kolossale in seiner Persönlichkeit dies, wie der alte Geist der Kunst
und der neue der Wissenschast sich in ihm begegnen, zum Teil sich steigernd,
mehr aber noch sich störend. Nach ihm ist die Entwicklung weiter ge-
gangen, wie sie sich in ihm anbahnte. Der wissenschaftliche Geist ist
Herr geworden und hat den seit Bestehen der Welt unerhörten Aber-
glauben unter uns großgezogen, daß der Verstand die Quelle der Wahr-
heit und dazu die einzige sei. So sehr ist diese Vorstellung unserer Zeit
einerzogen, daß die eigentlich und allein schöpferische Krast, die Phantasie,
für unser Bewußtsein geradezu im Gegensatz zur „Wahrheit" steht: „Das
ist nicht wahr, das ist Phantasie"!
Dieser Verstand will gekitzelt werden, wenn gespielt werden soll,
und er ist es ja, der gesunden hat, daß die Kunst Spiel und die Religion
Jllusion sei. Er ist es, der in aller Poesie dem Sinnlichen das, was einen
Sinn hat, und höchstens das „Sinnige" vorzieht, dem Bedeutenden das,
was etwas „bedeutet". Er hat die Dichtung zum Rätsel gemacht und
das Rätsel zur Scharssinnsübung. Er hat alle ungespitzte, d. h. also alle
eigentliche Dichtung ungehört verhallen lassen und den Humor in Witz
und Satire ertränkt.
Wir haben auch gegen diese beiden Mächte nichts, aber wo sie in
der Uebermacht sind und Rhetorik das Gegengewicht abgeben muß, da
ist nicht wohnen für nichts„wollende" Phantasie. Diese nämlich nur
ist die ruhige, gelassene und aus reicher stiller Gesundheit gestaltende
seelische Krast. Witz und Satire sind Reizmittel. Wo ihrer zuviel wird
im Verhältnis zur eigentlichen Kraft des Ackers, da wird er ausgesogen
und verarmt. Und keine Rhetorik — Potemkinsche Dörfer — ersetzt das.
Artur Bonus
M
H50
Runstwart XVIII, 21
sammlung erhalten ist. Aber einer von den Zufällen, die etwas Not-
wendiges und Typisches an sich haben. Jn unserm Falle sowohl für
die Person des Lionardo, als sür die Stellung der Renaissance in der
Gesamtentwicklung, als für das anbrechende wissenschastliche Zeitalter.
Man kann vielleicht sagen — und das Buch der Marie Herzfeld
scheint es wider Willen zu bestätigen, daß Lionardo einer der ersten ist,
der bereits vom Todeshauch der eigentlichen Renaissance getrosten wird.
Obwohl der immer noch steigenden Kunstentfaltung die stärksten An-
regungen gebend, wird er persönlich als Künstler vom wissenschastlichen
Geist überrascht und zerrieben. Das Buch gibt ergreifende Beispiele von
der Leidenschast, mit der er sich auf die Erkenntnis aller möglichen Dinge
wirst, die mit seiner Künstlerschast nichts zu tun haben und die er auch
nicht künstlerisch bewältigt. Allerdings bei ihm ist noch alles lebendig
und um des Lebens willen da. Doch ist er in der Art, wie ihn schließ-
lich die Erkenntnis der Dinge mehr interessiert als die Gestaltung, wie
eine Prophetie aus das allgemeine Sterben der Kunst, das nicht zu lange
nach ihm begann und dann über Europa hinging. Genauer gesprochen
ist das Kolossale in seiner Persönlichkeit dies, wie der alte Geist der Kunst
und der neue der Wissenschast sich in ihm begegnen, zum Teil sich steigernd,
mehr aber noch sich störend. Nach ihm ist die Entwicklung weiter ge-
gangen, wie sie sich in ihm anbahnte. Der wissenschaftliche Geist ist
Herr geworden und hat den seit Bestehen der Welt unerhörten Aber-
glauben unter uns großgezogen, daß der Verstand die Quelle der Wahr-
heit und dazu die einzige sei. So sehr ist diese Vorstellung unserer Zeit
einerzogen, daß die eigentlich und allein schöpferische Krast, die Phantasie,
für unser Bewußtsein geradezu im Gegensatz zur „Wahrheit" steht: „Das
ist nicht wahr, das ist Phantasie"!
Dieser Verstand will gekitzelt werden, wenn gespielt werden soll,
und er ist es ja, der gesunden hat, daß die Kunst Spiel und die Religion
Jllusion sei. Er ist es, der in aller Poesie dem Sinnlichen das, was einen
Sinn hat, und höchstens das „Sinnige" vorzieht, dem Bedeutenden das,
was etwas „bedeutet". Er hat die Dichtung zum Rätsel gemacht und
das Rätsel zur Scharssinnsübung. Er hat alle ungespitzte, d. h. also alle
eigentliche Dichtung ungehört verhallen lassen und den Humor in Witz
und Satire ertränkt.
Wir haben auch gegen diese beiden Mächte nichts, aber wo sie in
der Uebermacht sind und Rhetorik das Gegengewicht abgeben muß, da
ist nicht wohnen für nichts„wollende" Phantasie. Diese nämlich nur
ist die ruhige, gelassene und aus reicher stiller Gesundheit gestaltende
seelische Krast. Witz und Satire sind Reizmittel. Wo ihrer zuviel wird
im Verhältnis zur eigentlichen Kraft des Ackers, da wird er ausgesogen
und verarmt. Und keine Rhetorik — Potemkinsche Dörfer — ersetzt das.
Artur Bonus
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