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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 21 (1. Augustheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0555

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die ganze Stelle verdorben hat.
Man schlage irgend eine Ausgabe
nach. Der Gang des Basses von
ki8 nach L8 mochte Schwencke als
zu sprnnghaft stören, und die
musikalische Logik schien auf seiner
Seite, wenn er die eingeleitete chro-
matische Aufwärtsbewegung fortsetzte.
Es kommt aber nicht bloß daraus
an, wie, sondern besonders wohin
sich die Harmonie bewegt; ihr Ziel
soll in möglichst wirkungsvoller Weise
erreicht, es soll in der Bewegung
selbst am stärksten gegen das Ende hin
vorausgeahnt, vorauserkannt werden.
Die Harmonie zielt nach §, als Ober-
dominante von O-äur. Deutlich genug
weist kis als Leitton aufwärts nach §.
Wenn Bach der Forderung ausweicht,
sie durch eine zweite, nämlich 8,8,
Leitton abwärts zu verstärkt, so
hat er folgendes erreicht: fürs erste
eine höhere Spannung, die sich auch
mit erhöhter Wirkung auslösen muß;
sodann gibt er durch die umge-
bogene Linie völlige Klarheit über
seine Absicht, nach Z als einem Ziel zu
führen, in dem die Bewegung Ruhe
findet und allmählich erlischt. Beide
Wirkungen hat Schwencke vernichtet.
Das endliche § erscheint matt, weil
es zwischen Li8 und 88 schon das
Füllsel abgegeben hat, und § als Ziel
wird durch das chromatische Aus-
wärts unsicher; mit einem gewissen
Mißmut sieht man sich von 88 zu §
zurückgeleitet.

Schwenckes Korrektur, mit dem
Fluch der bösen Tat belastet, müßte
eigentlich eine neue Korrektur ge-
bären. Statt des Taktes auf 88 wäre
vorzuschlagen:

worauf dann gleich die Oberdomi-
nante mit dem wiederhergestellten k

kommen müßte. Ein genügender Er-
satz wäre das freilich nicht; doch
bliebe ein klarer harmonischer Wille
erkennbar. Des Reizes, den der ver-
zögerte Eintritt der Dominante ge-
währt, gingen wir verlustig.

Die Musik ist die Kunst des
Nacheinander, der beziehungsreichen
Folge: im Fluß einer Melodie ver-
langt ein Ton nach dem nächsten,
eine Gruppe nach der andern. Jede
musikalische Gegenwart ist umso musi-
kalischer, je mehr sie Beziehung nach
vor- und rückwärts enthält, je mehr
sie unser Vermögen der Voraus-
ahnung und Erinnerung in An-
spruch nimmt. Wir brauchen weder
Schwencke zurechtzuweisen, noch Bach
zu „retten". Mancher ist wohl erst
durch die mißglückte Einschiebung ver-
anlaßt worden, den Sinn der Stelle
zu untersuchen. August Lsalm

(A Liszts Christus und
Heilige Elisabeth

Jn letzter Zeit war viel von der
Heiligen Elisabeth die Rede, weil un-
erwarteterweise von der Bühne herab
eine dauernde Wirkung der Legende
eintrat. Mit der grundsätzlichen Miß-
achtung Liszts dürfte es vorbei sein.
Hat ja auch das Oratorium Christus
bei den letzten bemerkenswerten Auf-
führungen durch Kniese in Bayreuth
und Nürnberg, durch Göllerich in
Linz unbestreitbaren Eindruck hinter-
lassen. Es gibt kaum zwei andere
Chorwerke, die gleichzeitig so einfach
und so groß sind. Ueber den Christus
hat vor Jahren Göhler im Kunst-
wart ausführlich gesprochen. Heute
können wir die erfreuliche Mittei-
lung machen, daß der Verlag Kahnt
in Leipzig beide Werke auch in kleiner
billiger Partitur veröffentlicht hat;
jeder Band kostet nur 3 Mark! Das
Oktavformat entspricht etwa den
Klavierauszügen, ist also größer als
das der Wagnerpartituren Schotts,
bildet übrigens zu diesen ein präch-
tiges Seitenstück. Nun aber hätten

s. Augustheft l905 H87
 
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